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The Official Website of Andrew Vachss

 
Ein Auszug aus

Safe House

von Andrew Vachss

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger


 




 

Die zweite Schicht ist Knastjargon für drei Uhr nachmittags bis elf Uhr abends. Wenn man ein wichtiges Treffen ausmacht, wie Hercules es getan hat, läßt man dem anderen immer genug Zeit, um aufzutauchen. Der Butcher Block ist ein verlassener Ladekai unter der Brooklyn Bridge. Er heißt so, weil sich früher dort die Diebe trafen, um ihre Beute von den Lastwagen des nahegelegenen Fulton Fish Market aufzuteilen. Hercules wußte nicht, wo ich wohnte. Wenn ein Typ wie er so was weiß, kommt er eines Tages vorbei, um Hallo zu sagen. Vielleicht bringt er ein Sechserpack mit. Oder die Cops.

Genau gegenüber des Freiluft-Obdachlosenasyls am Broadway, das die Politiker City Hall nennen, brachte ich den Plymouth zum Stehen. Sekunden später wurde die Beifahrertür aufgerissen und der Prof stieg ein.

"Isses Herks Kiste, streich´s von der Liste. Kann gar nix anderes sein, als ´n mieses Nümmerlein", begrüßte mich der kleine Mann mit angewiderter Stimme.

"Willst du passen?" fragte ich.

"Du weißt, daß das nicht geht, Schuljunge. Der Mann war einer von uns, stimmt´s? Einer für alle, alle für einen."

Das sagte Alles. Wir würden unseren Teil des Deals einhalten. Verpflichtung und Ehre, ein und dasselbe. Aber das war nicht die Einbahnstraße des guten Bürgers. Was uns trieb, war das sichere Wissen, daß Hercules, wenn wir ihn von einer Telefonzelle aus der Hölle anriefen, sofort kommen würde. So eine Loyalität kann man nicht kaufen. Aber man muß bezahlen, was sie kostet. In Raten.

"Wo steckt Clarence?" fragte ich.

"Clarence? Der Junge hat nichts damit zu tun. Er steht in der Kreide, also bleibt er auf der Weide."

"Stimmt", sagte ich, und meinte es genauso.

Kurz vor der Vesey Street bog ich links ab, fuhr auf der Park Row zurück Richtung Norden, ignorierte die Auffahrt zur Brücke und hielt mich scharf rechts, als wollte ich zum FDR. Als ich die Gasse entdeckt hatte, bugsierte ich den Plymouth hinein, starrte durch die Windschutzscheibe.

"Guck mal", sagte der Prof. "Da drüben."

Ein Mann näherte sich dem Wagen. Ein kräftiger Mann mit langen dunklen Haaren, wirkte in dem knöchellangen gelben Regenmantel, wie ihn Verkehrspolizisten tragen, noch massiger. Der Prof sprang raus und schlüpfte auf den Rücksitz, ließ die Beifahrertür offen - eine eindeutige Einladung. Der stämmige Mann stieg ein, schüttelte sich wie ein verdammter Bernhardiner, eine eiskalte Dusche regnete auf mich nieder.

"Burke!" sagte er, hielt mir die Hand hin.

"Herk", erwiderte ich den Gruß leise, meine Stimme war eine Botschaft, die er ignorierte, als er sah, wer im Fond saß.

"Prof! He, ist ja super!"

"Cool bleiben, Mann" erwiderte der Prof. "Das ist keine Wiedersehensfeier. Hier geht´s um Geschäfte, oder?"

Der schwere Mann schüttelte wieder den Kopf. Energisch, als versuche er, sich an etwas zu erinnern. An etwas Wichtiges.

"Ich hab ein Problem", sagte er schließlich.

"Spuck´s aus", forderte ich ihn auf.

"Da war dieses Mädchen-"

"Scheiß der Hund drauf, Schuljunge. Was hab ich gesagt? Der Kerl ist ein Stier, und es geht um Fotzen hier."

"Ganz ruhig, Prof. Was immer es ist..." Ich ließ den Satz unvollendet, drehte mich zu Herk, spreizte die Hände zu einer "Erzähl mir alles"-Geste.

"Da war dieses Mädchen", wiederholte er, als hätte er das Band zurückgespult auf Anfang. "Sie wurde ... na ja, belästigt. Du verstehst, was ich meine?"

"Nein", sagte ich mit soviel Schärfe in der Stimme, daß er endlich zur Sache kam.

"Okay. Ihr Freund hat sie verprügelt. Immer wieder. Wegen nix. Danach hat er immer gesagt, daß es ihm leid tut, und sie hat wieder mit ihm angefangen. Schließlich landete sie wegen ihm im Krankenhaus. Nicht bloß in der Ambulanz, wie vorher - die mußten sie operieren. Am Gesicht. Wahrscheinlich war sie zu benebelt von den Medikamenten, die sie ihr gegeben haben, um ihn zu decken, ich weiß nicht. Jedenfalls, die Bullen haben ihn einkassiert. Er hat sich nicht gewehrt", sagte Herk, voller Verachtung des Berufskriminellen für jeden, der sich nicht automatisch seiner Festnahme widersetzt. "Jedenfalls, sagte sie, sie will ihn nicht anzeigen, und weißt du , was der Bulle darauf antwortet? Das wirst du nicht glauben, Burke. Die brauchen sie gar nicht - die können ihn auch ohne sie aus dem Verkehr ziehen, egal, ob sie das will. Ich meine, die können sie zwingen, vor Gericht zu erscheinen. Jesus".

Ich nahmm ein Päckchen Zigaretten vom Armaturenbrett, bot Herk eine an. Er schüttelte den Kopf. Genauso wie im Knast. Als ernsthafter Bodybuilder war Dianabol die einzige Droge, mit der Herk je rumspielte und mit Steroiden hatte er Schluß gemacht, als wir ihn ins kalte Licht am Ende des Tunnels geschleift hatten. Aber der Prof riß mir die Kippe aus der Hand, bevor ich sie anstecken konnte. Ich hörte wie hinter mir ein Streichholz angerissen wurde. "Danke, Bruder", sagte er knapp. Ich steckte mir eine andere an. "Wie geht deine Geschichte weiter?" fragte ich den massigen Mann.

"Er kommt mit ´ner lächerlichen Strafe davon. Sechs Monate auf dem Papier, wieder draußen nach vier. Das Gericht sagt, er darf sie nicht sehen, du weißt , was ich meine oder?"

"Ja."

"Aber es nützt nix. Er ruft sie an. Aus dem Knast. Per R-Gespräch, okay? Nach einer Weile geht sie nicht mehr dran. Läßt sogar ihre Nummer ändern. Da schreibt er ihr Briefe. Total abgedrehte Scheiße ... daß er sie liebt und geträumt hat, wie er ihr Gesicht in Streifen schneidet."

"Er ist noch im Knast, als er das gemacht hat?" fragte der Prof.

"Ja."

"Hat sie die Briefe den Cops gezeigt?" wollte ich wissen.

"Klar. Aber stell dir vor: Die können nichs tun. Ich meine, diesmal will sie das Arschloch anzeigen, und die Bullen unternehmen einen Scheißdreck. Sagen, die Briefe, das wären keine echten Drohungen, nur Gerede über seine Träume und so. Dumme Arschlö-"

"- und dann kommt er wieder raus und ..." , unterbrach ich seinen Redeschwall.

"Hm-hmh. Und er legt sofort wieder los. Ruft sie auf der Arbeit an, steckt ihr Zettel in den Briefkasten, lauter so Zeug. Inzwischen hat sie eine Scheißangst-"

"Und du Schwachkopf schiebst ihr deinen jämmerlichen Dödel rein, stimmt´s?" mischte sich der Prof. ein.

"Nein, Prof. Ich schwör´s", erwiderte Herk gekränkt. "Ich meine, wir sind uns ja nie begegnet, okay? So war das nicht."

"Wie war´s dann?" fragte ich.

"Kennst du Porkpie?"

"Ja", bestätigte ich, inzwischen nervös. Porkpie war ein kleiner Fisch, der am Rand mitmischte. Einer dieser vielleicht jüdischen, vielleicht italienischen Brooklyn-Jungs. Er hatte weder Muskeln noch Mumm oder Verstand, also spielte er Mittelsmann. Ein halbgarer Tippgeber und mieser Informant - er würde nie selbst was anpacken, kannte aber immer jemanden, der damit keine Probleme hatte. Zumindest behauptete er das. Er arbeitete allein, hatte keine Gang. Sein Arbeitsplatz waren Telefonzellen und der Kofferraum seines Wagens. Nur ein guter Bürger oder ein absoluter Anfänger würde mit ihm Geschäfte machen. Herk war weder das eine noch das andere, aber dumm genug, daher spielte es keine Rolle.

"Okay, also Porkpie erzählt mir die Sache", fuhr er fort. "von dem Job, meine ich. Er sagt, sie suchen jemand, der sich den Burschen vorknöpft, ihm Bescheid stößt, sagt, daß er sich verpissen und die Braut in Ruhe lassen soll, verstehst du?"

"Klar."

"Einen Riesen für ein paar Minuten Arbeit, hat er gesagt."

"Für einen lausigen Riesen wolltest du dir diesen Burschen vorknöpfen, ihn in die Mangel nehmen, ihm Feuer unterm Arsch machen?" knurrte der Prof. "Was ist los mit dir, Junge? Du hast doch schon zweimal gesessen. Was für´n Gesabbel, so was bringt nur Trouble! Haust du ihm den Schädel ein, kommst du in die Kiste rein. Ist das für dich gutes Geld für ein paar Minuten Arbeit?"

"So war´s nicht, Prof. Ehrlich nicht. Porkpie sagt, der Kerl wär ´ne totale Memme, okay? Ich soll nur ein paar Muskeln spielen lassen, ihm vielleicht eine scheuern. Porkpie sagt, der würde doch sofort den Schwanz einziehen, ein Typ, der Frauen schlägt ..."

"Alle möglichen Scheißer schlagen Frauen", antwortete der Prof. "Das heißt gar nichts. Du hast doch genug hinter dir, das müßtest du eigentlich wissen, Herk."

"Spielt jetzt keine Rolle mehr", sagte der Bär von einem Mann traurig.

"Was ist passiert?" fragte ich. "Red mal Klartext. Komm schon."

"Porkpie gibt mit ein Foto, okay? Wie der Typ aussieht und alles. Und er fährt mich zu der Stelle, wo der Typ von der Arbeit kommt."

"Du hast ihn am hellichten Tag in die Mangel genommen? Mir wird kalt vor soviel Blödheit."

"Nö, Burke. Der arbeitet bei einem Wachdienst oder so. Hat nach Mitternach Feierabend. In so´nem großen Gebäude an der Wall Street. Er muß durch´ne kleine Gasse zu der Stelle, wo die Autos parken. Porkpie hat gesagt, da kann ich ihn schnappen."

"Und ...?"

"Ich krall mir den Kerl, okay? Ich knall ihn gegen die Wand und sag, ich wär der Cousin von dem Mädchen. Porkpie hat gesagt, das soll ich sagen, damit er kapiert, daß es mir ernst ist und so. Der versucht, mit mir zu reden, aber ich laß mich auf nix ein. Ich sag ihm, wenn du Boogie willst, den kannst du haben. Sofort. Auf der Stelle. Er nimmt die Hände runter, guckt nach unten. Ich denk, das war´s. ... und dann zieht der Kerl ´ne Kanone. Ich hab nicht ... groß nachgedacht, Mann. Ich hab ihm einfach eine verpaßt."

"Du hast das Arschloch abgestochen?" fragte der Prof ganz ruhig, beugte sich über die Rückenlehne des Vordersitzes.

"In den Bauch", sagte Herk. "Ich wollte das gar nicht, aber ... als ich das Ding reingeschoben hab, wußte ich sofort, der ist Geschichte. Ich hab´s in seinem Gesicht gesehen ... als hätte einer das Licht ausgeknipst, verstehst du? Der war ausgezählt."

"Hat dich jemand gesehen?" fragte ich. Jetzt war es rein geschäftlich.

"Ich glaube nicht. Ich weiß nicht. Porkpie sagt, er hätte keinen gesehen."

"Wann war das?" "Vor zwei Nächten. Ich meine, es sind zwei Nächte, wenn´s dunkel wird."

"Was brauchst du, Herk?" fragte ich.

"Ich brauche ein Versteck, Burke. Ich muß weg. Raus aus der Stadt."

"Herk konnte es nicht erklären, aber er spürte es. Er war wie ein Kanarienvogel in einem Bergwerk, der giftige Dämpfe wittert und im Käfig herumflattert. Ich sah den Prof an. Er nickte.

"Ich bring dich weg", sagte ich. "Dahin, wo du sicher bist. Und ich hör mich um, was los ist,okay?"

"Klar, Burke", sagte er lächelnd. Ein großer, lieber, dummer Junge.

 

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