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The Official Website of Andrew Vachss

 

Der Betonwelpe

von Andrew Vachss


»Wissen Sie, wo der Red 71 Billardsaal ist?«, fragte die Frau und beugte sich nach vorne, um durch das offene Fenster des Taxis zu sprechen.

Der Fahrer verinnerlichte die wilde Mähne roten Haares der Frau, ihr stark geschminktes Gesicht und ihre atemberaubenden Brüste. Er schluckte schwer und blickte nach oben.

»Lady, Sie sollten da nicht hingehn. Das ist kein Ort für –«

»Sehen Sie«, unterbrach sie, »Sie sind der vierte Fahrer, den ich gefragt habe. Zwei sprachen kein Englisch, der andere wollte die Anschrift. ›Red 71‹, das ist alles, was ich weiß. Und Sie, Sie wissen, wo das ist. Kommen Sie, seien Sie kein Spielverderber. Ich bin ein großes Mädchen«, sagte sie mit rauchiger Stimme und atmete tief ein, um den Beweis hervorzuheben. »Ich kann auf mich aufpassen.«

Der Fahrer überlegte einen Moment, nickte dann in Richtung Rücksitz. »Steigen Sie ein.«

Das Taxi verließ die Schleife und bahnte sich seinen Weg stadtauswärts. Die Frau lehnte sich zurück und schlug ihre langen Beine übereinander.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?«, fragte sie höflich.

»Sehe ich so aus?«, entgegnete der Fahrer. »Nur zu, wenn es Sie glücklich macht

Die Frau zündete sich eine an, inhalierte dankbar und beobachtete durch das hintere Fenster, wie sich die Gegend veränderte.

»Entschuldigen Sie, Lady«, sagte der Fahrer, »Ich will nicht persönlich werden oder so, aber sind Sie ... ne Art Schauspielerin oder so was?«

»So was«, erwiderte die Frau lächelnd.


Das Taxi zog an den Randstein, zwischen den verrotteten Wracks zweier herrenloser Autos. Der Fahrer deutete auf eine Reihe aus Maschendrahtzaun, der von Spiralen rostigen Stacheldrahts gekrönt war.

»Da ist es, Miss.«

»Wo? Alles, was ich sehe, ist der Zaun.«

»Sehn Sie? Dort drüben. Das soll so was wie`n Tor sein, okay?«

Die Frau warf dem Fahrer einen zweifelnden Blick zu und entschied sich. Dann griff sie in ihre Handtasche und holte ein Paar Fünfziger heraus.

»Sehen Sie«, sagte sie zu dem Fahrer. »Ich könnte niemals ein Taxi dazu bringen, in diese Gegend zu kommen. Hier sind Fünfzig bei einem Fahrpreis von zwanzig Dollar – das ist nicht schlecht, stimmt`s? Und hier ist noch einer, damit Sie zurückkommen und mich in einer Stunde abholen.«

»Lady, Sie müssen nicht ...«

»Eine Stunde, okay? Ich werde genau hier sein. Danke!«


Der Rotschopf trat durch die Öffnung im Maschendrahtzaun und bahnte sich vorsichtig ihren Weg durch ein Labyrinth aus Trümmern, trotz der hochhackigen Pumps recht sicheren Schrittes, die Augen auf die »71« gerichtet, die in verblichenem Rot über eine mit Platten verblendete Metalltür geschmiert war. Als sie sich der Tür näherte konnte sie sehen, dass diese keinen Griff hatte und nur leicht angelehnt war. Sie drückte dagegen und die Tür gab nach. Drinnen fand sie sich in einem Treppenhausschacht wieder, mit einem weiteren Pfeil in der gleichen verblichenen, roten Farbe, der nach unten zeigte. Sie folgte dem Pfeil in den Keller, wo sie eine weitere grifflose Tür vorfand. Sie drückte sachte dagegen und trat ein. Der Billardsaal war finster, Wolken aus Zigarettenqualm mischten sich mit Dunkelheit und formten Inseln der Düsternis. Es gab keine Deckenlampen; die einzige Beleuchtung bestand aus einer Reihe tief über den Billardtischen hängender, abgeschirmter Glühbirnen. Zu ihrer Linken befand sich ein abgenutzter Holztresen. Dahinter befand sich ein älterer Mann, der unter seinem altmodischen grünen Augenschirm hervor in einen kleinen Schwarzweißfernseher schaute.

Der Rotschopf trat an den Tresen, lehnte sich auf die Ellbogen gestützt vor und bot den gleichen Anblick, der den Taxifahrer so hingerissen hatte, aber der betagte Mann drehte seinen Kopf nicht.

»Entschuldigen Sie?«, fragte sie mit rauchiger Stimme.

Der ältere Mann drehte sich ein wenig in seinem Stuhl, ließ seinen Blick schnell über die Frau huschen, konzentrierte ihn dann auf einen Punkt nicht allzu weit hinter ihr. »Was?«

»Ich suche nach einem Mann namens Cross«, antwortete sie.

»Niemand hier, der so heißt, Lady«, sagte der alte Mann und presste den Zeh auf ein Paneel im Boden, während er sprach.

»Doch, ist er. Ich meine, mir wurde gesagt ...«

»Sorry», sagte der alte Mann und wendete sich wieder seinem Fernseher zu.

Die Frau drehte sich um, die Hände in die Hüften gestemmt, und inspizierte den Billardsaal. Sie bekam ein paar Blicke zurück, sonst nichts. Die Frau hielt ihre Position, machte aber keinen Versuch, sich vorwärts zu bewegen. Dann spürte sie ein behutsames Tippen an ihrem Ellbogen und drehte sich um, um einen kleinen, untersetzten Mann mit entfernt orientalischen Zügen zu sehen, der sie betrachtete.

»Miss, der Weg, den Sie hierher genommen haben? Um hierher zu gelangen? Ist ziemlich gefährlich. Lassen Sie mich Ihnen einen sichereren Weg hinaus zeigen, in Ordnung?«

»Ich suche nach Cross«, sagte der Rotschopf.

Der untersetzte Mann bewegte seinen Kopf in einer Geste, die fast zu schwach war, um als Nicken erkennbar zu sein, aber als er losging folgte ihm der Rotschopf. Als sie zwischen zwei Tischen hindurchgingen sagte der untersetzte Mann etwas zu einem der Spieler. Es hörte sich wie Chinesisch an, aber der Rotschopf war sich nicht sicher.

Im hinteren Teil des Billardsaals übte ein riesiger Mann den gleichen Stoß wieder und wieder. Für seine Größe waren seine Bewegungen überraschend feinfühlig. Als der Rotschopf an seinem Tisch vorbei kam, drehte sich der riesige Mann, um über seine enorme Schulter zu schauen.

Der untersetzte Mann bewegte ein paar Stränge eines Stahlperlenvorhangs zur Seite und hielt sie dort, damit der Rotschopf voranging. Als sie hindurch trat, sah sie einen Mann, der auf einem alten Holzfass saß, so entspannt als wäre es ein Sessel. Als er sich bewegte, um an seiner Zigarette zu ziehen, bemerkte der Rotschopf eine Fadenkreuztätowierung auf seinem rechten Handrücken. Er sah unscheinbar aus: durchschnittliche Größe, durchschnittliche Statur, durchschnittliches Gesicht. Wäre da nicht sein Tattoo, würde er in jeder Menge untergehen.

Der untersetzte Mann hielt eine Handfläche hoch. Der Rotschopf blieb stehen. Der untersetzte Mann rollte ein weiteres Fass aus einer dunklen Ecke des Raums und verbeugte sich vor dem Rotschopf. Sie stieg auf das angebotene Fass, ließ dabei ihren Rock hochrutschen. Sie schlug die Beine übereinander, versuchte ein vorsichtiges Lächeln. Der Mann, der ihr gegenüber saß, reagierte nicht.

»Sind Sie ...?«

Der Mann auf dem Fass machte eine sssch–Geste, den Finger auf den Lippen. Er zog erneut an seiner Zigarette, drückte sie dann in einer umgedrehten Radkappe aus. Der Rotschopf bemerkte, dass der Großteil der Zigarette noch nicht abgebrannt war. Der Mann war gedankenverloren in sich gekehrt.

Der Rotschopf verstand das als eine Geduldsprobe, zog den Saum ihres Rockes ein wenig nach unten und saß ganz still.

Minuten vergingen. Dann steckte ein Mann mit einem übermäßig muskulösen Körper, der durch ein gelb-grünes tank top kaum bedeckt wurde, seinen rasierten Schädel in den Raum. »Okay«, sagte er zu dem Mann auf dem Fass. Der Mann wendete sich dem Rotschopf zu.

»Was wollen Sie?«, sagte er.

»Sind Sie Cross?«, entgegnete sie.

»Sicher«, sagte er, implizierend, dass sie wohl auch mit ihm vorlieb nehmen musste, falls er es nicht wäre.

»Ich habe ein ... Problem. Und mir wurde gesagt –«

»Von wem gesagt?«, unterbrach der Mann.

»Tabitha. Sie tanzt im –«

»Ich weiß. Weiter. Fahren Sie fort..»

»Sie atmete tief ein, ließ ihre weiße Seidenbluse flattern. Falls es der Mann bemerkte, ließ er sich nichts anmerken. »Ich habe ein Pflegekind. Sein Name ist Romeo. Er ist acht Jahre alt. Ich habe ihn ... von einem Mädchen, das mal mit mir arbeitete. Sie starb. An AIDS. Sie wusste, was los war, also haben wir vorher alles geregelt. Romeo – er ist seit Jahren bei mir. Jetzt ist er mein Sohn. Doch ich möchte nicht, dass diese neugierigen Sozialarbeiter fragen, wie –«

»Was ist Ihr Problem?«, fragte der Mann, schnitt ihr das Wort ab.

»Wir leben in einem schönen Zuhause. Am Stadtrand. Romeo hat ... hatte einen Welpen. Brutus. Ein kleiner Rottweiler. Er wurde überfahren. Von einem Auto. Romeo sah, wie es passierte. Er hat sich das Kennzeichen gemerkt. Brutus hat nur herumgespielt. Romeo sagt, er sei auf die Straße gelaufen und hätte sich einfach hingelegt. Als würde er ein Sonnenbad oder so was nehmen. Es ist eine ganz ruhige Straße, mit dieser großen, scharfen Kurve, und so. Man kann kaum schneller als etwa dreißig Meilen in der Stunde fahren. Romeo meint, der Fahrer hatte jede Menge Zeit. Er sah Brutus. Und dann hat er Gas gegeben. Er hat den Welpen absichtlich überfahren.«

»Also?«

»Also ging ich zur Polizei. Mit dem Kennzeichen. Sie haben den Mann gefunden. Er sagte, er habe den Welpen nicht gesehen. Und das war`s.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Romeo hat tagelang geweint. Nichts, was ich sagte, konnte ihn überzeugen – er ist sicher, dass der Fahrer es absichtlich getan hat.«

»Welchen Unterschied würde es machen? Der Hund bleibt tot.«

»Es macht einen entscheidenden Unterschied. Wenn er es absichtlich tat, muss er bezahlen. Wenn es ein Unfall war, okay, aber ich glaube meinem Sohn.«

»Und Sie wollen, dass ich ... was tue?«

»Nicht, was Sie denken. Ich möchte, dass Sie es herausfinden. Ob er es absichtlich tat. Können Sie das?«

»Vielleicht.«

»Ich kann bezahlen. Was es auch kostet.«

»Buddha wird Ihnen zeigen, wie Sie hier herausgelangen, Sie dorthin zurückbringen, wo Ihr Taxi Sie abgesetzt hat, in Ordnung? Erzählen Sie ihm alles, was Sie über den Kerl wissen, der den Welpen überfahren hat. Und lassen Sie eine Nummer da, unter der ich Sie erreichen kann.«

Der Rotschopf stieg von dem Fass und folgte dem untersetzten Mann durch eine Hintertür nach draußen in einen anderen Teil des Hofs. Falls sie überrascht war, dass sie unter Beobachtung stand, seit sie aus dem Taxi gestiegen war, ließ sie es sich nicht anmerken.


»Was denkst du, Boss?«, fragte Buddha und überreichte ein vollgeschriebenes Blatt Papier. »Sieht so aus, als hätte sie das Meiste schon.«

Cross scannte das Papier, hakte die Punkt für sich selbst mit tiefer Stimme ab. »Jon – kein ›h‹ – Rangel. Geb. 03.02.1950. Fährt einen schwarzen 98er Ford Crown Vic. Wohnt in den Heights. Zwei Bußgelder wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen in den letzten drei Jahren. Keine Trunkenheit am Steuer« Cross kratzte sich bedächtig an seinem rechten Wangenknochen, wo nur ein unnatürliches Weiß der Haut eine alte Narbe erkennen ließ.

»Hast du einen von diesen riesigen Stadtplänen, Buddha? Schaun wir, ob wir seine Adresse finden können.«

Der Bodybuilder teilte die Stränge des Perlenvorhangs und betrachtete Cross und Buddha, die den riesigen Stadtplan studierten, den sie auf dem Boden ausgebreitet hatten. „Was geht ab?“ fragte er.

»Siehst du das?«, fragte Cross Buddha, ignorierte den Bodybuilder. »Er war gerade mal eine Meile oder so von Zuhause entfernt, als er den Welpen erwischte. Sie mal, das ist eine lange Linkskurve genau dort ...« sagte er und deutete darauf.

»Hey, kommt schon, Leute«, bettelte der Bodybuilder.

»Reg dich ab, Princess«, sagte Cross zu ihm. »Wir sind hiermit noch nicht fertig.«

Princess verschränkte die Arme, betonte seinen ungeheuren Bizeps, einen schmollenden Blick im Gesicht.

Einige weitere Minuten vergingen. Dann sah Cross auf. »Princess, hol Rhino nach hier hinten, ja?« Der Bodybuilder machte eine Kehrtwendung und verschwand. Als er zurückkam, war der riesige Mann, der Billardstöße geübt, hatte bei ihm.

»Haben wir was?«, fragte der riesige Mann, seine Stimme ein unglaublich schrilles Piepsen.

»Wir haben allerdings was, Rhino.« sagte Cross zu ihm. »Wir haben `nen Typen, der einen Welpen überfahren hat. Die Frage ist, was machen wir damit?«

»Und wir werden bezahlt, um –« sagte Buddha. »Er hat absichtlich einen Welpen überfahren?« warf Princess ein, seine Stimme nun ruhig und kalt.

»Das ist der Teil, den wir nicht wissen«, sagte Cross. »Dafür werden wir bezahlt. Ich muss zuerst ein paar Anrufe machen


In einer Art von Wohnzimmer, einem alten Wohnzimmer, das seit Jahren keinen Staubsauger mehr gesehen hatte, war die Crew zwei Tage später in einem lockeren Kreis versammelt. Im zweiten Stock des Red 71–Gebäudes versteckt war der fensterlose Raum von außen unsichtbar.

»Das haben wir bisher«, sagte Cross. »Dieser Rangel–Typ ist Vertreter. Telefon–Typ. Irgendwas mit Bonds und Penny Stocks, ich bin mir nicht sicher. Aber er kann reden wie ein Wasserfall, ist ein Schönredner. Zwei Verhaftungen als Jugendlicher, sonst nichts. Verheiratet, keine Kinder. Laut Kreditauskunft ist er ziemlich AA. Haus ungefähr auf einsfünfzig geschätzt, Hypothek über achtzig–nochwas. Lebt im Rahmen seiner Möglichkeiten, spielt nicht. Trinkt auch nicht. Auf dem Papier grundsolide.«

»Die beiden Festnahmen als Jugendlicher – hat er den selben Weg genommen wie wir?« fragte Rhino.

»Nein, er ist nie eingefahren. Eine Haftverschonung, eine Bewährung«, erwiderte Cross, eine Schärfe in der Stimme, die nur für seine Crew zu bemerken war.

»Hast du rausbekommen, wofür er verdonnert wurde, Boss?«, fragte Buddha.

»Yeah. Beim ersten Mal hat er eine Katze mit Pfeil und Bogen erschossen. Bei der anderen Sache schüttete er Benzin über einen Hund. Hat ihn angezündet.«

»Verdammtes Frettchen«, murmelte Princess. »Dieser Typ, er hat angefangen, richtig? Und wir werden auch bezahlt. Also wie wär`s, ich geh heute Nacht einfach zu ihm nach Hause und brech ihm das Genick?«

»Nix da, Bruder. Wir werden dafür bezahlt, etwas herauszufinden, nicht um ihn ins Gras beißen zu lassen.«

»Also wie werden wir –«

»Entspann dich, dazu komme ich noch. Der Junge sagt, der Kerl wäre tatsächlich ausgeschert. Hat seine Spur verlassen, um den Welpen zu überfahren. Nun, vielleicht sah es für ihn so aus, aber vielleicht ist der Wagen auch einfach nur aus der Kurve getragen worden. Wenn man zu schnell fährt, wisst ihr ...«

»Zentrifugalkraft«, ergänzte Buddha.

»Yeah«, fuhr Cross fort. »Schwer zu sagen. Als erstes bringen wir jemanden dorthin. Undercover.«

»Ich , ich«, kreischte Princess.»Ich komm nie dazu, undercover zu arbeiten. Komm schon, Cross. Du hast gesagt, beim nächsten Mal ...«

»Du hast es, Partner«, sagte Cross zu ihm, blickte über die Schulter des Bodybuilders Rhino an, der ausgiebig mit den Schultern zuckte. »Also hör gut zu ...«


Die große, pinkfarbene Harley rollte durch den Vorort wie ein Pitbull durch eine Hundeausstellung des AKC. Der Fahrer sah aus wie aus Stein gemeißelt, die enormen Arme nackt, in einer schwarzen Lederweste, das Gesicht unter einer schwarzen Gesichtsmaske nicht zu erkennen. Princess drehte noch einmal am Gasgriff, als er herunter schaltete, und zog dann eine Seitenstraße entlang auf den Highway. Als er die Linkskurve erreichte, legte er das Bike hinein, bis sein Stiefel über den Boden schrammte.

»Du hattest recht, Chef«, sagte Buddha. Er saß am Steuer der anonym wirkenden Limousine, den die in den Badlands lebenden Outlaw–Teenager den »Hai« nannten. Cross saß neben ihm auf dem Vordersitz. »Es ist, als ob die Cops diesen Sektor überhaupt nicht kontrollieren. Princess, dieser Idiot, hat genug Radau gemacht, um Tote aufzuwecken.«

»Denkst du, die Kurve trägt einen raus?«, fragte Cross.

»Klar. Siehst du, wie niedrig die Böschung ist ... nur dieses kleine bisschen? Das ist niemals genug. Ohne die Leitplanke landest du direkt auf der anderen Seite, wenn du `nen Fehler machst«

»Sehen wir es uns an.«

Buddha fuhr gekonnt, ließ den Wagen sich schnell bewegen, ohne dass es so aussah. Er ließ den Wagen an der Spitze der Kurve zum Stillstand gleiten. Die beiden Männer stiegen aus. Die Leitplanke war aus Metall, zwei dicke Banden, die parallel zum Boden an Pfosten angebracht waren, um einen Aufprall abzufangen. Sie sahen hinter die Leitplanke. Schauten hinunter. Es war ein steiles Gefälle, mindestens ein paar Hundert Fuß. Unten die gezackten Felsen eines längst aufgegebenen Steinbruchs.

»Rhino sich gemeldet?«, fragte Cross.

»Yeah, Chef. Der Kerl nimmt jeden Tag die gleiche Strecke. Selbe Zeit, selber Weg. Hat ihn nun neun Tage lang gestoppt. Er ist kein einziges Mal mehr als ein paar Minuten abgewichen.«

»Verkehrsaufkommen?«

»Nichts, Boss. Sieh dir an, wie lange wir hier sitzen – siehst du irgendein Auto vorbeikommen? Der einzige Anlass, diese Straße zu nehmen ist, wenn man in dieser Wohnsiedlung dort drüben wohnt, siehst du?» Buddha zeigte rüber. »Und dieser Typ, er arbeitet von sieben bis drei, alles klar? Die sonstigen Bewohner kommen viel später hier entlang.«

»Also wo kam der Junge her?«

»Von dort.» Buddha zeigte erneut. »Siehst du die Baumgruppe? Links? Direkt am Fuße des Hügels? Der Junge wohnt auf der anderen Seite. Ich vermute, er kam gerade den Hügel hinunter, als der Welpe ihm abhaute.«

»Hast du es dir angesehen? Von da, wo der Junge stand?«

»Perfekte Deckung», erwiderte Buddha.»Scharfsschützen–Nest. Denkst du ...?«

»Nein. Erinnere dich, wir brauchen Antworten. Tot kann uns der Kerl gar nichts sagen.«


»Was seht ihr?», fragte Cross seine Crew und zeigte mit dem Finger auf ein weißes Objekt, das sich auf einem der Billardtische befand, etwa dreißig Fuß entfernt.

»Das ist ein Welpe«, sagte Princess. »Kann ich ...«

»Warte `ne Minute«, sagte Cross. »Rhino, siehst du das Gleiche?«

Der riesige Mann nickte, wartete. Cross schlenderte hinüber zu dem Welpen, die anderen folgten.

Princess streckte die Hand aus, um den Welpen zu tätscheln, zog sie dann zurück, als hätte er einen Ofen berührt. »Das ist `ne Attrappe«, knurrte er. »Ein ausgestopfter Hund.«

»Versuch ihn hochzuheben«, sagte Cross ihm.

Der Bodybuilder streckte eine Hand aus, packte den Welpen im Nacken. »Uff!» sagte er. »Was zum Teufel ist das?«

»Das ist ein Betonwelpe«, sagte Cross ihm. »Mit einem Bleikern. So angemalt, dass er wie ein Dalmatiner aussieht. Wiegt fast siebzig Pfund. Hat Fong gemacht. Gute Arbeit, hm?«

»Wofür ist er?«, fragte Princess.

»Er ist ein Lügendetektor«, sagte Cross.


»Verstehst du, wie das ablaufen wird?« fragte Cross den Jungen, der neben ihm stand. Sie befanden sich im Unterholz des Wäldchens am Anfang der Linkskurve. Der Rotschopf stand einfach daneben.

»Ich ... glaube, ja.«

»Okay, Junge, hör gut zu. Wir werden den Welpen, –nur ein Modell, keine echter Welpe, okay?– wir werden den Welpen auf die Straße setzen. Aber weit an den Rand, verstehst du? Wenn der Kerl vorbeikommt, hat er jede Menge Platz, um auszuweichen. Also, wenn er vorbeifährt, dann weißt du, dass es ein Unfall war, als er deinen Hund überfahren hat.«

»Was, wenn er versucht ihn anzufahren?«, fragte der Junge.

»Dann wissen wir das auch«, erklärte Cross ihm, kontrollierte dabei seine Uhr. Er zog ein Mobiltelefon aus seinem Mantel. Tippte eine Nummer ein, wartete. Dann sagte er: »T minus drei. Stellt ihn auf.«

Die Auspuffrohre des Motorrades blubberten, als die pinkfarbene Harley um die Biegung zog und anschließend zur Seite ausscherte. Princess stieg ab, schnallte einen weißen Gegenstand vom Motorrad und setzte ihn zurecht.

»Er sieht wirklich richtig echt aus«, flüsterte der Junge.

»Sieh einfach hin«, sagte Cross ihm.

Princess positionierte den Welpen auf dem Seitenstreifen der Straße, etwa einen Meter vom asphaltierten Teil. Es sah aus, als sei der Hund verletzt, ein Bein leicht in einem merkwürdigen Winkel vom Boden weg gehalten. Princess überprüfte es noch einmal, sprang auf das Motorrad und verschwand.

Ein roter Kombi kam um die Kurve, die Räder über der doppelten gelben Trennungslinie, und machte einen weiten Bogen um den Welpen. Der Fahrer kam dem Welpen nicht nahe. Hielt auch nicht an.

Das Telefon in Cross` Jacke summte. Einmal. Zweimal.

»Der Nächste.«, sagte Cross zu dem Jungen.

Der schwarze Ford kam in mäßigem Tempo um die Ecke, eng an der doppelten gelben Linie wie der Kombi zuvor. Plötzlich brüllte der Motor des Ford auf und der große Wagen schoss nach vorne, das äußere Vorderrad direkt auf den Welpen gerichtet. Der Ford prallte auf, als wäre er auf eine Rampe geraten, die Front hob ab und die Hinterräder verloren die Haftung. Der Ford knallte seitlich in die Leitplanke, die sofort entzwei brach, als sei sie mit einem Schneidbrenner angesägt worden.

Cross und der Junge rannten über die Straße, der Rotschopf dicht dahinter. Nur die Reifenspuren waren zu sehen. Der Teil der Leitplanke, der noch stand, war mit schwarzem Lack verschmiert. Der Betonwelpe hatte einen Sprung und lag auf der Seite, war aber noch immer intakt.

Cross, der Junge und der Rotschopf schauten hinunter. Der schwarze Ford war ein Punkt am Grund des Steinbruchs. Ein Punkt in Flammen.

Der Junge weinte. Der Rotschopf kniete sich neben ihn, einen Arm tröstend um die Schultern des Kindes.

»Was ist los, Baby?«, fragte sie.

»Er hat meinen Brutus absichtlich überfahren«, sagte der Junge. »Er hat meinen Welpen umgebracht.«

Der Rotschopf fing Cross` Blick über die Schulter des Jungen hinweg auf. Cross nickte. Sie schloss das Kind in Arme, hielt ihn fest.

Als sie aufsah, war Cross weg. Der Betonwelpe ebenfalls.

Der Rotschopf und der Junge gingen gemeinsam wieder den Hügel hinauf.

Nach wenigen Minuten war die Straße wieder verlassen.

für Shannon Jones

 

© 1999 Andrew Vachss. Alle Rechte vorbehalten.

Diese Story ist in Everybody Pays erschienen und auf The Zero erstmals auf Deutsch veröffentlicht..



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