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Kain
von Andrew Vachss


"Sehen Sie sich meinen Buster an ... sehen Sie nur, was die mit ihm gemacht haben."

Der alte Mann deutete mit einem zitternden Finger auf den Hund, einen großen deutschen Schäferhund. Das Tier kauerte in der Ecke der Küche der Eisenbahnerwohnung - sein prächtiger Kopf war schief, unter dem zottigen Fell fehlte ein Stück Schädel. Eine tiefe Tasche Narbengewebe leuchtete weiß, wo einmal ein Auge gewesen war, das andere war milchig-trüb vom grauen Star, gesprenkelt mit Angst. Der Schwanz des Hundes hing in einem irrwitzigen Winkel, eine Vorderpfote steckte unbrauchbar in einem Gipsverband.

Kain aus: Kreuzfeuer,  Andrew Vachss. Abbildung aus Hard Looks
"Kain" aus Kreuzfeuer
 

"Wer war das?"

Der alte Mann hörte nicht zu, war noch nicht fertig. Drückte die Wunde, um den Eiter herauszubekommen. “Buster paßt hinter dem Haus auf, da wo der Hühnerdraht ist. Die haben ihn gequält, Steine nach ihm geworfen, ihn ganz verrückt gemacht. Dann haben sie das Schloß geknackt. Es waren zwei. Der eine hatte einen Baseballschläger, der andere ein Stück Rohr. Mein Buster ... der würde keinem Menschen was tun. Sie haben auf ihn eingeschlagen, immer und immer wieder, und gelacht. Ich bin runtergelaufen, damit sie aufhören ... die haben mich einfach weggestoßen, als wäre ich eine Schmeißfliege. Die haben meinen Buster so zugerichtet, daß es ihm sogar weh tut, wenn ich versuche ihn zu streicheln. "

Der alte Mann saß weinend an seinem Küchentisch.

Der Hund beobachtete mich, ein klägliches Jaulen löste sich aus seinem offenen Maul. Sein halbes Gebiß war weg.

"Sie wissen, wer das war", sagte ich. Es war keine Frage. Wenn er das nicht gewußt hätte, dann hätte er mich nicht gerufen - ich bin kein Privatschnüffler.

"Ich habe ... habe die Cops gerufen. 911. Die sind nie gekommen. Ich bin runter zum Revier. Der Mann am Schalter hat gesagt, ich soll den Tierschutzverein anrufen."

"Sie kennen die?"

"Ich weiß nicht, wie sie heißen. Zwei Männer, junge Männer. Einer hat viel Muskeln, der andere ist mager."

"Sind die hier aus der Nachbarschaft?"

"Ich weiß nicht. Sie sind immer zusammen - ich habe sie auch vorher schon gesehen. Jeder kennt sie. Sie haben rasierte Schädel. "

"Jeder kennt sie?"

"Jeder. Sie quälen auch andere Hunde. Sie machen so lange, bis die Hunde sie anbellen, und dann ...". Er weinte wieder.

Ich wartete, beobachtete den Hund.

"Die kommen wieder. Ich sehe sie die Gasse runtergehen. Fast jeden Tag. Ich kann Buster nicht mehr draußen lassen - kann nicht mal mehr mit ihm spazierengehen. Ich muß jetzt immer saubermachen, wenn er sein Geschäft gemacht hat."

"Was wollen Sie?"

"Was ich will?"

"Sie haben mich gerufen. Von irgendwem haben Sie meinen Namen. Sie wissen, was ich tue."

Der alte Mann stand auf und kniete sich neben seinen Hund. Legte eine Hand behutsam auf den Kopf des Tieres. "Buster war der zäheste Hund auf der Welt - hatte vor nichts und niemandem Angst. ich habe ihn als Welpe gekriegt. Heute will er nicht mal mehr mit mir aus dem Hoffenster schauen."

"Was wollen Sie?" fragte ich noch einmal.

Beide sahen mich an. "Sie wissen schon", sagte der alte Mann.


— 2 —


Ein freistehendes Backsteingebäude in Red Hook, nicht weit vom Wasser, umgeben von einem Maschendrahtzaun mit Nato-Draht oben drauf. Ich klingelte. Ein Hund knurrte warnend. Ich schaute in die verspiegelte Scheibe, wußte, daß ich beobachtet wurde. Die Stahltür ging auf. Ein Mann in einem weißen T-Shirt über einer schlabbrigen schwarzen Hose öffnete. Er war barfuß, hatte dunkles, kurzgeschnittenes Haar und einen so geschmeidigen Körper, als wäre er aus Gummi. Er verbeugte sich leicht. Ich erwiderte die Verbeugung, folgte ihm hinein.

Ein rechteckiger Raum, aufgerauhter Holzfußboden. In einer Ecke baumelte ein mit Segeltuch bezogener, schwerer Sack von der Decke. In einer anderen hing ein Autoreifen an einem dicken Seil. Zwei lange Holzknüppel hingen an Haken.

"Ich hole ihn", sagte der Mann.

Ich wartete, rührte mich nicht von der Stelle.

Er kam zurück, führte einen Hund an einer Kette herein. Es war ein stämmiger Pitbull, ganz weiß bis auf einen schwarzen Fleck über dem einen Auge. Der Hund beobachtete mich, ruhig wie eine Kobra.

"Hier ist er", sagte der Mann.

"Sind Sie sicher, daß er es macht?"

"Garantiert."

"Wie heißt er?"

"Kain."

Ich ging in die Hocke, sagte den Namen des Hundes, kraulte ihn hinter seinen aufgerichteten Ohren, als er zu mir kam.

"Wollen Sie mit ihm üben?"

"Ja, wäre besser. Ich kenne zwar die Befehle, die Sie mir gesagt haben, aber ..."

"Warten Sie hier."

Ich spielte mit Kain, machte mit ihm die Standard-Gehorsamsübungen. Er war eine Maschine, perfekt.

Der Hundetrainer kam zurück. Bei ihm waren zwei Männer in Schutzanzügen, ledergefüttert und gepolstert. Über dem Gesicht Masken wie Torwarte beim Eishockey.

"Also los", sagte er.


— 3 —


Ich ging die Gasse hinter dem Haus des alten Mannes entlang. Kain an einer dünnen Lederleine, die ich locker in der linken Hand hielt. Der Hund kannte die Strecke inzwischen - es war unser fünfter Tag.

Zwanzig Meter vor mir kamen sie um die Ecke. Der Kleinere hatte einen Baseballschläger über der Schulter, der Muskelmann ließ ein Stück Bleirohr immer wieder in seine offene Hand klatschen.

Sie kamen näher. Ich trat zur Seite, um sie vorbeizulassen.

Der Kleine pflanzte sich vor mir auf, sah mir in die Augen.

"He, Mann, das ist ein Pitbull, stimmt`s? Ganz schön gefährliche Hunde, hab ich gehört."

"Nein, der ist nicht gefährlich, sagte ich mit stockender Stimme. "Er ist ein Haustier."

"Ich finde, er sieht wie ein ziemlich übler Hund aus", sagte der kräftige Bursche, fuchtelte mit dem Bleirohr vor dem Maul des Hundes rum, stach zu. Kain wich zurück.

"Bitte tun Sie meinem Hund nichts", flehte ich die zwei an und zog gleichzeitig an der Leine.

Kain sprang in meine Arme, vergrub sein Gesicht an meiner Brust. Ich konnte die angespannten Muskeln an seine Beinen spüren, während er alle vier Pfoten gegen mich stemmte.

"Oooh, hat Ihr Hund vielleicht Angst, Mann?" spottete der Kräftige, trat dicht vor mich und schlug mit dem Rohr auf den Rücken des Hundes.

"Lassen Sie uns in Ruhe", sagte ich und wich zurück, sie kamen näher.

"Setz den Hund runter, Schwuchtel!"

Ich legte meinen Mund dicht an Kains Ohr, flüsterte "Los!" und breitete die Arme aus. Ohne einen Laut drückte sich der Pitbull von meiner Brust ab, seine Alligatorzähne schlossen sich um das Gesicht des Größeren. Ein Schrei sprudelte heraus. Der Kerl stürzte zu Boden, krallte sich an Kains Rücken. Fetzen seines Gesichts flogen weg, rot und weiß. Er zuckte, als säße er auf dem elektrischen Stuhl, aber der Hund ließ nicht locker, löste den Biß nicht. Der kleinere Bursche stand da wie gelähmt, mit offenem Mund, aus dem kein Laut herauskam, zwischen den Beinen verfärbte sich seine Hose dunkel.

"Aus!" herrschte ich den Hund an. Kain trat zurück, hatte blutigem Schaum vor dem Maul.

"Du bist dran", sagte ich zu dem Kleinen. Er rannte los, lief um sein Leben. Kain erwischte ihn, stürmte einfach seine Wirbelsäule hoch, schloß die Kiefer um seinen Nacken.

Als ich ein Knacken hörte, rief ich ihn zurück.

Wir drehten uns um, gingen die Gasse wieder hoch, da schaute ich nach oben.

Der alte Mann stand am Fenster. Neben ihm hatte Buster den Gipsverband um seine Pfote lässig auf den Sims gelegt

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Diese Story finden Sie in Kreuzfeuer von Andrew Vachss.



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