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Lesens-Wert


Auszüge aus Andrew Vachss’

„Ein Kundschafter und Führer durch die Kriminalliteratur“

(Erstveröffentlichung im Wig Wag Magazine, Februar 1991)

Das dümmste (und ebenso hartnäckigste wie vorherrschendste) Gerücht über Kriminalliteratur ist, dass es eine richtige Art des Schreibens gibt. Dieser literarische Taoismus drückt sich meist sehr ablehnend aus. Der richtige Weg wurde und wird von den Kritikern festgelegt, und dieser Weg eröffnet nur zwei wesentliche Optionen: Der Autor wird entweder als Nestbeschmutzer des Literaturgeschäfts verrissen oder als dessen Nutznießer abgelehnt.

Die Wahrheit ist, dass es keinen richtigen Weg gibt.

Und hier ist der Beweis:

Martha Grimes, Walter Mosley und Kinky Friedman.

Drei Kriminalautoren, jeder ein Meister auf dem ganz eigenen Gebiet, alle einzigartig, alle Gewinner. Kritiken hatten nur wenig offensichtliche Folgen für jeden von ihnen.

Wenn es um fiktive Kriminalgeschichten geht, bin ich Leser, kein Kritiker. Niemand kann jedes erschienene Buch lesen (oder gar kaufen), daher sollte man einige grundsätzliche Punkte wissen. Mit dem Schreiben ist es ähnlich wie mit dem Boxen, nämlich dass gegensätzliche Stile das eigene Handicap verstärken; aber auch wenn sich das Genre-Ghetto die Grenze des Rings durch die Kritiker der Kriminalliteratur selbst auferlegen lässt: was zählt ist, die Sache zu Ende gebracht zu haben.

Walter Mosley ist so etwas wie der Tänzer des Trios, mit seinen feinen Bewegungen und Punkttreffern, seinen Fehltritten und seinem Biß, zufrieden mit sich selbst. Die Handlung in seinem ersten Roman „Teufel in Blau" (Devil In A Blue Dress), dreht sich vor allem um seinen Protagonisten. Mosley benötigt nur zwei perfekte Sätze, um den Lesern alles über dessen Charakter zu erzählen:

Ich habe fünf Jahre nur mit Weißen verbracht, Männern und Frauen, von Afrika über Italien bis nach Paris und zurück in die Heimat. Ich habe mit ihnen gegessen, ich habe neben ihnen geschlafen und habe genug blauäugige junge Männer getötet, um zu wissen, dass sie wohl genauso viel Angst zu Sterben hatten wie ich selbst.

Kinky Friedman nimmt die Deckung runter, gibt den Clown für die Menge, macht dabei dem Nummerngirl einen unanständigen Antrag. Typisch sind seine Einzeiler aus „Nie wieder Tequila" (Musical Chairs):

Die Farbe seines Gesichts war ähnlich braun wie die Kneipe und es schien, als ob er bereits seit Jahren in seinem Hut und seinem Mantel schlafen würde. Er hatte kein Haar mehr auf dem Kopf, nur einen ziemlich böse aussehenden Bartwuchs unter seiner Unterlippe, der wie eine schwarze Orchidee wirkte und allgemein als „Weißenhasser“ bekannt war, und mit dem er wie ein Betrunkener wirkte, der Aschermittwoch verpasst hatte.

Martha Grimes ist eine Illusionistin, erhaben und scharfsinnig, die nicht auf Anhieb alles zeigen will, was sie drauf hat. Wer sonst ließe schon den Protagonisten und Detektiv in „Inspektor Jury geht übers Moor" (The Old Silent) tatsächlich Zeuge des Mordes werden, den er aufzuklären hat.

Der Mann wandte sich ruckartig ab und sie griff in ihre Umhängetasche, holte eine Knarre heraus und schoß ihm in die Brust. Sein Blick wurde starr, als ob ihn die Kugel verfehlt hätte. Aber nur ein paar Sekunden später konnte er sich schon nicht mehr auf den Beinen halten und stürzte auf den Tisch neben ihm.

Jeder(r) von ihnen erzählt aus einer anderen Perspektive. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie alle am Ball bleiben. Keine schulterklopfenden Einsichten, keine Abschweifungen - die Erzählungen bleiben nie stecken.

Mosleys stets schwarz gekleideter Erzähler, Easy Rawlins, durchstreift das L.A. der 40er. Mosley wird unweigerlich mit Raymond Chandler (Die obigatorische Referenz - und einzige Pflichtlektüre für Genre-Kritiker) verglichen werden, aber seine dichten Handlungen und die enge Verbundenheit mit seinen Charakteren resultiert in etwas viel Elementarerem, das näher Blues liegt. Je näher am Knochen, umso saftiger das Fleisch.

Kinky Friedman ist die Verbindung zwischen Fiktion und Realität und sein Erzähler gleichen Namens (!) der frühere Anführer der Texas Jewboys, der legendären Country-Protest-Band der 70er. „Nie wieder Tequila (Musical Chairs)“ ist ein dampfendes Ragout aus falschen Witzen und verschmitztem Lächeln, voller Verweise; aber Friedman, der Protagonist, ist mehr daran interessiert, Groucho Marx denn Sherlock Holmes zu spielen.

Für Martha Grimes liegt die Perfektion in den Details - vielmehr in dem hauchdünnen, verbindenden Gewebe zwischen den Details. Ihr Protagonist, Superintendent Richard Jury (!) von (New) Scotland Yard, ist nur einer der beliebten Charaktere, über die wir in jedem neuen Buch mehr erfahren. Grimes verbreitet eine Atmosphäre des klassisch-britischen Kriminalromans, gewürzt mit einem sozialen Kommentar, so spitz wie ein Eispickel; verknüpft ihre Dichtung mit einer knappen Aussage.

Schau genau hin und du findest scharfe Kanten bei jeder noch so glatten Murmel.

Walter Mosley und Kinky Friedman benutzen beide den Erzähler in der ersten Person, machen vom Eröffnungsgong an klar, wo es langgeht:

Ich war überrascht zu sehen, wie ein Weißer Joppy’s Bar betrat. „Teufel in Blau" (Devil In A Blue Dress).

Es war Weihnachtsabend und all die Salamis im Schaufenster von Carnegie Delicatessen waren mit Sorgfalt dorthin gehängt worden. „Nie wieder Tequila" (Musical Chairs).

Martha Grimes benutzt die dritte Person, der Schwerpunkt liegt mehr auf der Beschreibung als bei den Charakteren:

Jury war überrascht als er sah, dass das Fenster mit blau verkratztem und orangenem Papier verkleidet war, den Überresten der vergangenen Saison. Die späten Sonnenstrahlen reflektierten sich in Macalvies kupferfarbenem Haar ... Gott strahlte über Macalvie. „Inspektor Jury geht übers Moor" (The Old Silent).

Sie funktionieren alle verschieden, aber sie funktionieren - und es ist künstlerisch, nicht künstlich. Man erhält Geschriebenes vom Feinsten, nicht nur gute Kriminalromane. Grimes entschlüsselt zeitgenössische Moralvorstellungen ebenso lehrreich wie unterhaltsam. Mosley spielt Balzac, erläutert dabei soziale Veränderungen, indem er zeigt, dass sich die Menschen nicht verändert haben. Friedman ist der ultimative Outlaw, für den alles eine tragische Komik hat, besonders sein eigenes Leben. Verbrechen ist die gemeinsame Sprache, aber was untersucht wird, das ist der menschliche Zustand.

Zwei grundsätzliche Konzepte dominieren die Kriminalliteratur: Der Privatdetektiv und der Cozy. Ersterer meist in Form eines ehrenhaften Einzelgängers, der sich in den üblichen dunklen Gegenden ans Werk macht, bevorzugterweise ein ehemaliger Polizist (Raymond Chandlers Philip Marlowe; Anm.d.Übers.) oder ein geschädigter Kriegsveteran (Mickey Spillanes Mike Hammer; Anm.d.Übers.), mit Wissen und Erfahrung. Nützlich sind auch gutes Aussehen, ein Freund bei der Polizei, Furchtlosigkeit und sexuelle Aktivität. Metaphern sind ebenso üblich: “In dieser Welt, in der ein Hund den anderen fraß, war Roland eine Art von Feuerhydrant.“ Freizügige Blondinen sind eine gute Idee, und von den bösen Jungs Geld anzunehmen hat ebenfalls noch keinem geschadet. Alkohol gehört mit dazu, aber sonstige Drogen sind tabu. Chandler hat viele Imitatoren nach sich gezogen; Carroll John Daly (Der geistige Vater von Race Williams, einem zu mietenden Revolvermann, der Mike Hammer wie Alan Alda aussehen lässt) bedauerlicherweise nur einige.

Die Formel des Cozy enthält ebenfalls einige einschränkende Elemente. Die Protagonisten neigen dazu, mehr urban und wohlerzogen zu sein und sind auch mit mehr persönlichen, herausragenden Eigenschaften ausgestattet. Anhaltspunkte sind erforderlich und die Aufgabe des Humors ist die Teilnahme der Leser an der Auflösung. Das Happy End wird i.d.R. vervollständigt durch in Konfrontationen erzwungenen Geständnisse und Auflösungen. Agatha Christie wird hierbei eine führende Rolle zugestanden, aber der Cozy war bisher ein eher unblutiger Teil eines Bereichs des Kriminalromans, der heute als Soft-Boiled bekannt ist. In gewisser Weise ist der Cozy aufrichtiger. Er täuscht keinen Ground-Zero-Realismus vor, anders als der "harte" Stoff ... der oftmals so wirkt als sei er von Jungfrauen geschrieben worden, für die Krafft-Ebing eine Kettensäge ist.

Es gibt Dutzende von Beispielen, von Splatterpunk über Noir bis zur Hardboiled Romantik. Derlei Definitionen sind allerdings eine Sache der Wahrnehmung, was wiederum nur ein anderer Begriff für Geschmack ist. Einige Bücher beinhalten solche eindeutige Vorstellungen von Charakteren und Gesellschaft, dass sie in keine Konvention zu zwängen sind.

Einige Beispiele: “Homeboy“ von Seth Morgan (Random House, 1990); „The Good Policeman“ von Jerome Charyn (Mysterious Press, 1990); „No Special Hurry“ von James Colbert (Houghton Mifflin, 1988); “Proberty Of” von Alice Hoffman (Fawcett, 1988); “Tattoo the Wicked Cross” von Floyd Salas (Grove Press, 1967); “The Detective” von Rod Thorp (Dial Press, 1966)(Verfilmt 1968:“Der Detektiv (The Detective)” mit Frank Sinatra; A.d.Ü.); City Of Night von John Rechy (Grove Press, 1963); “Night and the City” von Gerald Kersh (Simon & Schuster, 1946). Alle Perlen!

Die Autoren, die ich ausgewählt habe, sind vertraut mit den Konventionen, jedoch nicht an diese gebunden. Einige Schulden sind offensichtlich, andere nicht. Friedman verdankt einiges dem gewalttätigen Vigilantenhumor von Dalys Race Williams, Mosley dagegen dem eines Richard Wright. Wem Grimes etwas schuldet, ist mir nicht bekannt, aber alle Klassiker sind verdächtig.

Der Fluch der Kriminalschriftsteller sind die Fragen von Interviewern, wann sie ein großes Buch, einen Mainstream-Roman schreiben werden. Diese Autoren schreiben über Verbrechen, Gewalt, Heimtücke und Verrat, Kindsmissbrauch, Verschwörung, Korruption und wie Menschen all dies erschaffen, daran teilhaben und davon beeinflusst werden..

Könnte irgendetwas mehr Mainstream sein?

(wird fortgesetzt)

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© 2003 Deutsche Übersetzung Armin Träger für The Zero. All rights reserved


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