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Manipulation und Suggestion durch Therapeuten?


Anfragen von „irritierten“ Besuchern unserer Internetpräsenz angesichts eines seinerzeit hier veröffentlichten Artikels der Autorin Elisabeth Reuter hatten uns im April 2004 zu nachfolgender Stellungnahme veranlasst.


Vor ca. 10 Jahren wurde die von Gewalt und Misshandlung durch den Vater geprägte Lebensgeschichte Elisabeth Reuters in einer Dokumentation des Westdeutschen Rundfunks (WDR) ausgestrahlt. Durch die erlittenen Gewalttaten und sexuellen Übergriffe des Vaters habe sich bei Elisabeth Reuter eine Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS) entwickelt. Vom Ich der Frau Reuter habe sich eine Vielzahl von Innenpersonen abgespalten, dadurch habe Frau Reuter Gewalttaten und die sexuellen Übergriffe des Vaters überstehen zu können.

Die Erlebnisse Elisabeth Reuters sollten Ende März 2003 erneut Gegenstand einer zwischenzeitlich verschobenen Sendung des WDR werden. Frau Reuter sagt heute, dass ihre Kindheit durch abscheuliche Gewalttaten und emotionale Mißhandlungen des Vaters bestimmt gewesen sei.  Sie habe dissoziiert, Innenpersonen entstehen lassen, um ihre Kindheit überstehen zu können. Zu einem sexuellen Missbrauch sei es entgegen ihrer früheren Darstellungen jedoch nicht gekommen. Der sexuelle Missbrauch wie auch das Vorhandensein einer MPS mit Herausbildung von mehr als 30 Innenpersonen sei über drei Jahre hinweg durch die manipulative und suggestive Vorgehensweise ihres Psychotherapeuten unter Verwendung von Hypnose und Medikationen „implantiert“ worden.

Wir sind weder in der einen noch der anderen Richtung geneigt, blind Glaubensbekenntnisse abzugeben oder solchen zu folgen, sondern legen Wert auf von fachlichen Standards getragene Tatsachenermittlung.. Wir möchten Frau Reuters Fall dennoch zum Anlass nehmen, einige Zeilen zu  einer Problematik zu verlieren, die unter dem Schlagwort „false memory“ (falsche Erinnerung) bekannt wurde. Verbunden ist dieser Begriff meist mit dem Vorwurf, dass ein tatsächlich nicht stattgefundener Missbrauch durch den Therapeuten erfunden und dem Klienten (d. h. dem mutmaßliche Missbrauchsopfer) in manipulativer Weise suggeriert wird.

Es hat in den USA Prozesse gegen Therapeuten wegen des „Implantierens falscher Erinnerungen" gegeben. Wir schließen nicht grundsätzlich aus, dass es zu solchen Geschehnissen kommen kann, sind jedoch überzeugt, dass eine kompetente und zeitnahe Untersuchung im Regelfall Bestätigung (in beiderlei Hinsicht) erbringen kann.

Es ist eine unhaltbare Behauptung, dass Kinder hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs niemals die Unwahrheit sagen; es ist in gleicher Weise absurd, insgesamt von einer „Hexenjagd“ auf Täter zu sprechen und die an Kindern begangenen Untaten damit generell abzutun. Das Problem ist, dass die meisten Leute eine doktrinäre Position einnehmen: sie operieren von ihrem Glaubenssystem aus und nicht aufgrund der vorliegenden Fakten.  Andrew Vachss:

„Der größte Unterschied zwischen Fällen von Kindesmissbrauch und allen anderen ist: diejenigen, die Entscheidungen zu treffen haben, seien es Richter, Sozialarbeiter, Polizeibeamte oder die allgemeine Öffentlichkeit- handeln zu oft so, als stehe das Thema Missbrauch als solches vor Gericht und nicht die Tatsachen des Einzelfalles. Wenn wir die Wahrheit über Kindesmissbrauch herausfinden wollen, gibt es nur eins, was wir tun können: Wir betrachten uns die Fakten eines jeden individuellen Einzelfalles. Es geht nicht grundsätzlich um den 'Glauben' an Kinder, nicht um den „Glauben“ an 'Hexenjagden' oder „falsche Anschuldigungen“; es ist alles einzig eine Frage der Tatsachenermittlung."

"Ebenso wie das die Wahrheit sprechende Kind traumatisiert ist, dem nicht geglaubt wird, weil alle behaupten, es sei eine Hexenjagd im Gange, so wird auch das Kind traumatisiert, das man das Banner der falschen Anschuldigung tragen lässt."

Die falsche Bezichtigung einer Straftat ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt akzeptabel. Falsche Anschuldigungen schaden den angeblichen "Tätern"; sie schaden generell anderen Opfern, weil an der Glaubhaftigkeit auch ihrer Schilderungen  Zweifel aufkommen. Sie schaden nicht zuletzt dem Menschen, der -aus welchen Gründen auch immer- zu falschen Anschuldigungen gebracht wird.

In gewisser Weise hat Elisabeth Reuter sich selbst schachmatt gesetzt. Unterstellt, dass ein Mensch so suggestibel ist, dass ein Therapeut eine falsche Missbrauchsgeschichte im Kopf des Klienten "implantieren" kann, so taucht - wie vorliegend- schnell die Gegenfrage auf, inwieweit diese Suggestibilität dann nicht ebenfalls zum Überzeugtsein von der (nun?) „wahren“ Geschichte geführt hat. Aufgrund ihrer diametral entgegensetzten Aussagen hat Elisabeth Reuter es für Außenstehende leider nahezu unmöglich gemacht, die Wahrheit festzustellen.

In ihrem Fall.


update 30. April 2008: Elisabeth Reuter hat den Prozess gegen ihren ehemaligen Therapeuten vor dem Landgericht Köln verloren. Das Urteil wurde bereits am 27.05.2005 gesprochen; Frau Reuter hat uns darüber nicht informiert.

Das Landgericht verneint die geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche, da es der Klägerin (Frau Reuter) nicht gelungen sei, den Beweis für Behandlungsfehler ihres Therapeuten zu erbringen.  Den Ausführungen des vor Gericht herangezogenen  Sachverständigen lässt sich entnehmen, dass die Behandlung der Frau Reuter offenkundig an der Grenze dessen erfolgte, was die Psychotherapierichtlinien zulassen. Insbesondere gewähren die im Urteil zusammengefassten Ausführungen des Sachverständigen einen Einblick, wie konzeptionslos die Psychotherapie offenkundig Anfang der 90er Jahre an die Behandlung mutmaßlich multipler Persönlichkeiten herangetreten ist.

Aus dem Urteil:

"Während der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten von einem Diagnosefehler spricht [...] hat er bei seiner mündlichen Anhörung von einer vertretbaren, aber mutigen Diagnose gesprochen, die der damaligen Mode entsprochen habe".

"Zu dem weiteren Vorwurf, die Behandlung sei konzeptionslos gewesen, hat der Sachverständige erläutert, zur Zeit der Therapie habe es weder Standards zur Behandlung posttraumatischer Zustände noch eine verbindliche Therapiestrategie zur Behandlung multipler Persönlichkeiten gegeben. Die Behandlung habe sicherlich nicht den damals schon geltenden Psychotherapierichtlinien entsprochen [...] Die Behandlung sei auch nicht mit den inzwischen verfassten Richtlinien zum Umgang mit Erinnerungen an Kindheitstraumatisierungen zu vereinbaren. Damals [...] sei aber eine Zeit der Neuorientierung und Suche gewesen, während derer die Ausgestaltung der Therapie weitgehend dem persönlichen Stil und der Verantwortung des Therapeuten überlassen gewesen sei."

"Die ausweislich entsprechender Stichworte in den Therapieprotokollen angewandten Methoden der Trancearbeit und des creating a new memory seien für den Zeitraum1991/1992 als hochgradig experimentelles Vorgehen auf der Suche nach neuen Behandlungsmustern gerade noch vertretbar gewesen"

Die von der Klägerin behaupteten sexuellen Übergriffe ihres Therapeuten wurden im Prozess von ihr nicht bewiesen. Zeugenaussagen schilderten nur, dass es zwischen Therapeut und Patientin Treffen im Haus der Klägerin, gemeinsame Besuche kultureller Veranstaltung und Geschenke gab; ferner "[...] dass sich die Körperkontakte auf Umarmungen zur Begrüßung und auf Stützen und an-der-Hand-führen während der Therapiesitzungen beschränkt hätten, wenn die Klägerin zitternd am Boden gelegen habe".

Gegen das Urteil hatte die Klägerin zunächst Berufung eingelegt, diese aber später zurückgenommen. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die Anwaltskosten ihres ehemaligen Therapeuten zu erstatten.


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