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"Okkult"pfarrer verurteilt.

Eigene Berichterstattung
Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht Eilenburg vom 19.11.2002
Aktenzeichen 5 Ls 250 Js 31707/01


Leipzig - Am 19.11.2002, verurteilte das Amtsgericht Eilenburg (bei Leipzig) den evangelischen Pfarrer Harry Heinz Riemer wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in neun Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung sowie zu einer Geldstrafe von 6.000.- EURO. Die Bewährungsdauer beträgt drei Jahre, in denen Pfarrer Riemer im Falle weiterer Straftaten oder eines Verstosses gegen die Bewährungsauflagen eine Inhaftierung zu erwarten hat. Von der Verhängung eines Berufsverbotes, welches von dem Nebenklägervertreter beantragt wurde, sah das Gericht ab.

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen Pfarrer Riemer Anklage wegen sexuellen Missbrauchs in 42 Fällen erhoben. Der Angeklagte habe in seiner Jugendgemeinde sektenähnliche Strukturen aufgebaut und sexuelle Beziehungen zu Gemeindemitgliedern unterhalten. Im Falle der minderjährigen Zeugin W., die auch als Nebenklägerin auftrat, sei es von 1999 - 2001 zu 40 Fällen sexuellen Missbrauchs gekommen, in denen der Angeklagte das Mädchen an Brust und Vagina angefasst und ihr Zungenküsse gegeben habe. Ort dieser Geschehnisse seien Wohn- und Schlafzimmer des Pfarrers Riemer gewesen, sein Auto, das Kino, der Whirl-Pool eines Freizeitbades sowie die Kirche selbst. Zur Anklage kamen zudem zwei Fälle sexuellen Missbrauchs an der weiteren Zeugin F., welche der Angeklagte mit seinen Händen von hinten umklammert habe, um seinen erigierten Penis an ihr zu reiben. Pfarrer Riemer habe einen sogenannten "Inneren Kreis" in seiner Jugendgemeinde geschaffen, in dem er sich als "Meister" bezeichnete und mittels sog. Pendeln und Meditationsübungen eine sektenähnliche Struktur geschaffen, die zur Abhängigkeit der Mitglieder und deren Widerstandsunfähigkeit gegen die sexuellen Handlungen des Pfarrers führte.

Der Angeklagte äußerte sich zu den Vorwürfen nicht und überließ sämtliche Ausführungen seinem Verteidiger. Lediglich als die Zeugin W. schilderte, dass 10 bis 12 der Übergriffe im Schlafzimmer des Angeklagten stattgefunden hätten, entfuhr ihm spontan die Bemerkung , im Schlafzimmer sei es nur zweimal und davon "nur einmal mit Sex" gewesen. Seine Verteidigung verneinte das Bestehen jeglicher Abhängigkeitsverhältnisse. Die Zeuginnen seien keinem Druck und keinem Zwang ausgesetzt gewesen, der es ihnen unmöglicht gemacht hätte, die Handlungen des Pfarrers zu unterbinden. Mangels physischen oder psychischen Drucks habe es sich lediglich um "unerhebliche sexuelle Handlungen im Sinne des Strafgesetzbuches" gehandelt. Im übrigen habe es sich nicht um Schutzbefohlene gehandelt, die in einem Abhängigkeitsverhältnis des Pfarrers gestanden hätten.

Dem Angeklagten wurde nach Abhalten der Plädoyers durch Staatsanwalt, Nebenklägervertreter und Verteidiger die Gelegenheit zu einem letzten Wort erteilt. Hiervon machte der Angeklagte Gebrauch, nachdem ihm sein Verteidiger zuraunte, er solle sich entschuldigen. Die kurze Erklärung des Pfarrers Riemer beinhaltete jedoch mitnichten eine Entschuldigung für seine Taten, sondern lediglich sein Bedauern, dass die Zeugin F. durch das Gerichtsverfahren belastet worden sei.

Das Gericht ging in seiner Urteilsfindung davon aus, dass zumindest in neun Fällen der sexuelle Missbrauch durch die Beweiserhebung bestätigt worden sei und sich der Angeklagte die vorsätzliche Schaffung sektenähnlicher Strukturen und okkulter Handlungen zunutze gemacht habe, um diese sexuellen Handlungen an den Zeuginnen begehen zu können. Der Angeklagte habe zu diesem Zweck seinen "Inneren Kreis" geschaffen, in welchem er sich als "Meister" ansprechen ließ und dessen Angehörige er zu "höchstem Bewusstsein" führen wolle, um "besser zu werden als alle anderen". Der Angeklagte habe genau gewusst, welche Abhängigkeiten er geschaffen habe und dass ein 15 jähriges Mädchen in einer solchen Gruppe, in der alle anderen sieben bis acht Jahre älter waren, aufgrund ihrer Lebenserfahrung die dortigen Geschehnisse nicht hinreichend kritisch erfasse könne. Die vollkommen überforderte Zeugin habe zwar den Versuch gemacht zu erfahren, ob diese Handlungen normal seien und fragte den Pfarrer, ob er das mit den anderen auch mache. Nachdem der Pfarrer dies bejahte, habe sie ihn gewähren lassen. Das Gericht hatte in Anbetracht der präzisen und plastischen Schilderungen der Zeugin W. und weiterer Zeugen keinen Zweifel am Begehen der sexuellen Handlungen unter Ausnutzung der gegebenen Abhängigkeit der Zeugin. Dies insbesondere, da der Angeklagte sogar eine enge Freundin der Zeugin W. aufforderte, mit dieser zu reden, dass sie doch die sexuellen Handlungen weitergehen lassen solle; dies mit den Worten "es ist doch nichts dabei". Alle Mitglieder des "Inneren Kreises" seien von einer tiefen Freundschaft füreinander erfüllt, die sexuelle Kontakte umfassten. Dies sei auch durch den Zeugen D. bestätigt worden, nach dessen Bekunden "Thema Nr. 1" Sex gewesen sei.

Eine Verurteilung in den weiteren angeklagten Fällen scheiterte, da nach Dafürhalten des Gerichts diese Fälle nicht hinreichend konkret durch die Anklage dargelegt worden waren.

Das Gericht sah es als geboten an, deutliche Vorwürfe an die evangelische Kirche zu richten, die es versäumt habe, sich um die Geschehnisse zu kümmern und sie zu verhindern. (Anm.: Die Zeugenvernehmung des zuständigen Juristen der evangelischen Kirche zeigte deutlich, wie unorganisiert, uninformiert und von allseitigem Verschweigen geprägt die Geschehnisse in der Jungen Gemeinde des Pfarrers kirchenintern gehandhabt wurden. Nach Aussage des Kirchenjuristen wurde der evangelischen Kirche von dem örtlichen Superintendenten keine Mitteilung gemacht, warum man dort den befristeten Beschäftigungsauftrag des Pfaffers Riemer über den 31.07.2001 hinaus nicht verlängern wollte. Ob seine Kirche die Tätigkeit des Pfarrers überprüft habe, konnte der Zeuge nicht sagen, da er dies nicht wusste. Der Zeuge wusste auch nicht, ob sich Pendeln und Wünschelrutengehen mit dem theologischen Auftrag eines evangelischen Pfarrers deckten. Der Zeuge mußte zudem einräumen, dass es in der evangelischen Kirche bisher keine Bestimmung gebe, wonach im Falle einer Verurteilung zwingend Disziplinarmaßnahmen erfolgen müßten. Dies sei aber für die Zukunft geplant. Immerhin konnte der Kirchenjurist mit Bestimmtheit aussagen, dass das Unterhalten außerehelicher sexueller Beziehungen mit dem Glaubensbekenntnis und der Tätigkeit eines Pfarrers nicht zu vereinbaren seien ...

Von dem Zeugen war jedoch zu erfahren, dass der Angeklagte seine frühere Stelle in Gelsenkirchen verlassen mußte. Es sei dort zwar nicht um sexuellen Missbrauch gegangen. Allerdings habe der Pfarrer eine "Tierfarm" betrieben und dort Tiere geschlachtet, damit die Kinder/Jugendlichen sehen sollten, dass Fleisch nicht aus der Tiefkühltruhe komme. Zudem habe er einen alten Hund einschläfern lassen wollen. Nachdem der Tierarzt dies mangels Notwendigkeit ablehnte, habe er versucht, das Tier selbst zu töten. Dies mißlang, der Hund entwischte und rannte verletzt und blutend durch die Straßen.

Den Ausgang des Verfahren wartete der Zeuge im übrigen nicht ab, sondern verließ den Gerichtssaal nach seiner Aussage - dies, nachdem er bekundet hatte, dass er für ein kircheninternes Ermittlungsverfahren im Anschluss an diesen Prozess zuständig sei ...)

Das Gericht richtete einen Appell an die Ermittlungsbehörden, ein Auge auf den Angeklagten zu haben. Dies insbesondere aufgrund des Umstandes, dass der Angeklagte derzeit im Süden von Leipzig in ehemaligen Garagenhallen ein "Institut für Gesundheitskunde" betreibe und "Lebenshilfe" biete. Zudem halte er dort erneut Pferde und biete Kindern und Jugendlichen die Gelegenheit zum Reiten an.

Das Gericht sah sich jedoch außerstande, eine höhere Strafe zu verhängen, da Pfarrer Riemer als Ersttäter in Erscheinung getreten war.


Unser Respekt gilt der Zeugin W., die schließlich allen Mut zusammennahm, sich offenbarte und die bewundernswerte Kraft aufbrachte, Pfarrer Riemer anzuzeigen und das Strafverfahren durchzustehen. Falls Du das jemals lesen solltest: Du bist eine tapfere junge Frau und Du hast es ihm gezeigt!!!


update vom 17.12.2002: Pfarrer Riemer ist bestrebt, seine Chancen für die nächste Instanz zu erhöhen, indem er Zeugen einzuschüchtern versucht. In einem Brief vom 26.11.2002 (der uns in vollem Wortlaut vorliegt) droht er einem der Zeugen mit Anzeigen, Strafverfahren und Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren. Riemer möchte seine Junge Gemeinde wiederhaben und glaubt, die Zeugen durch Drohungen zu seinen Gunsten beeinflussen zu können. Da wir stets um eine unverfälschte Berichterstattung bemüht sind, zitieren wir nachfolgend auszugsweise den Originalwortlaut seines eigenen Schreibens:

"Ich gebe dir eine einzige Chance, um unsere Anzeige zu vermeiden: du arbeitest mit uns daran, unsere alte Gemeinschaft der Jungen Gemeinde wiederherzustellen. ich will Versöhnung! Vor allem um e u c h zu erlösen !

"Komm, wenn du weiteres Unheil abwenden möchtest, heute um 19:00 Uhr zur Meditation in unsere Hütte, Bornaische Str. 171. (Anm. d. Verf.: das ist in Leipzig)."

"Höre ich heute nichts von dir, ist die Anzeige gegen dich unvermeidlich."

update vom 16.09.2003: Leipzig. Das Berufungsverfahren vor dem Landgericht Leipzig ist überraschend zu Ende. Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch der in erster Instanz verurteilte Pfarrer Harry Riemer nahmen ihre Berufungen zurück.

Pfarrer Riemer war wie bereits berichtet im November 2002 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und einer Geldstrafe von 6.000.- EUR verurteilt worden. Gegen diesen Urteilsspruch hatten zunächst er und auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Nach durchgeführter neuerlicher Beweisaufnahme nahmen sowohl die Anklage, als auch die Verteidigung die Berufung vor der Urteilsverkündung zurück. Es bleibt daher bei der erstinstanzlichen Bestrafung des derzeit vom Dienst suspendierten Pfarrers. Das einzige Ergebnis dieses Verfahrens war damit letztlich, dass das Opfer erneut vor Gericht erscheinen musste, um die Geschehnisse noch einmal detailliert zu schildern.

Für Pfarrer Riemer hat nun ein Disziplinarverfahren der evangelischen Landeskirche vor sich, das nach Mitteilung eines Sprechers etwa drei Monate dauern werde. Als Strafen kämen ein Verweis, eine Versetzung oder die Entfernung aus dem pfarramtlichen Dienst in Betracht.

update 10.03.2004: Pfarrer Riemer wurde im Rahmen des Disziplinarverfahrens der Westfälischen Landeskirche aus dem pfarramtlichen Dienst entlassen.

update 29.05.2004: Pfarrer Riemer hat sich zru Zahlung eines Schmerzensgeld in Höhe von 2.500.- EUR an die Geschädigte verpflichtet, nachdem sein Opfer mangels freiwilliger Zahlung des Pfarrers eine Schmerzensgeldklage eingereicht hatte.


Abschließend ein Hinweis zur Namensnennung: in der vorstehenden Berichterstattung wurde der Täter nicht zuletzt deshalb namentlich und nicht nur mit einem Kürzel benannt, weil er selbst mit vollem Namen und seinem Bild in die Öffentlichkeit getreten ist. Pfarrer Riemer hat sich in einer Fernsehsendung des MDR interviewen lassen und hat sich im Zuge dieser Sendung zu den Vorwürfen gegen ihn geäußert. Pfarrer Riemer ist ferner im Rahmen der Berichterstattung des Magazins Stern abgebildet worden.



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