Andrew Vachss
Interview für The Bird

Dieser Artikel erschien im Original hier

Andrew Vachss ist heute einer der kraftvollsten und kantigsten Erzähler. Die Washington Post bezeichnete ihn als "König des Asphalt-Dschungels", seine Bestseller erzählen die schockierende Wahrheit über Mißbrauch in der heutigen Welt.

Mr. Vachss ist praktizierender Anwalt in New York City. Er arbeitet ausschließlich für Kinder und Jugendliche. Es ist seine Arbeit im Jugendrecht, die ihm die Achtung vieler zeitgenössischer Autoren einbrachte. Vachss ist der Autor eines Dutzends Bestseller-Erzählungen; überraschenderweise hatte er keinerlei formale Ausbildung zum Schriftsteller, sondern verbrachte seine Zeit mit einer Vielzahl von Beschäftigungen.


The Bird: Mr. Vachss, wie lange schreiben Sie schon?
Andrew Vachss: In der Schule habe ich überhaupt nicht geschrieben, ich begann damit erst in den späten 60ern, frühen 70ern.

B: Gab es etwas, das das Schreiben in Ihnen ausgelöst hat? Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, glauben, Ihr Schreiben sei ein Ventil für all den Horror, dem Sie im Alltag begegnen.
AV: Es tut mir leid, daß die Leute mit denen Sie gesprochen haben, so ignorant und uninformiert waren. Ich weiß nicht, wo diese unausgegorenen Spekulationen herkommen, denn mein Anliegen ist es, direkt in den Horror einzugreifen — nicht etwa kleine Bücher darüber zu schreiben. Die Bücher sind eine organische Verlängerung dessen, was ich tue, nicht ein Ausgleich dafür, daß ich nicht dazu in der Lage wäre, es zu tun.

B: In welches Genre würden Sie Ihre Bücher einreihen?
AV: Ich schreibe über Kindesmißbrauch und Gewalt, und über die Verbindung zwischen beiden. Ich schätze, das macht mich im Amerika von 1995 zu einem Mainstream-Schriftsteller.

B: Gibt es Pläne, einige der frühen "Burke"-Erzählungen als Hardcover neu aufzulegen?
AV: Nein, warum sollte ich das tun? Ich glaube nicht, daß Leute aus der Arbeiterklasse 25 Dollar für ein verdammtes Buch bezahlen können, so seh ich das. Mein wahres Interesse gilt jetzt dem Sammelband. All meine Bücher sind in diesem Format neuaufgelegt worden. Das sind Bücher, die bleiben, die nicht auseinanderfallen wie beschissene Taschenbücher. Aber sie werden jetzt 10 statt 25 Dollar kosten. Neue Hardcover würden — außer für den Sammlermarkt — keinen Sinn machen.

B: Viele der Charaktere in Ihren Büchern erscheinen sehr ausgereift und menschlich. Entspringen sie Ihren Erfahrungen im wirklichen Leben oder nur Ihrer Phantasie?
AV: Ich war Bundesermittler für Geschlechtskrankheiten. Ich war Sozialarbeiter im berüchtigten Department of Welfare von New York City. Ich war in diesem wahnsinnigen Stammeskrieg in Biafra, dem heutigen Nigeria. In Chicago leitete ich ein Zentrum für Obdachlose, in Massachusetts ein Hochsicherheitsgefängnis für gewalttätige Jugendliche. Bevor ich anfing, Jura zu studieren, machte ich noch ein halbes Dutzend andere Dinge. Seit ich Anwalt bin, habe ich nur Kinder vertreten und nur Fälle mit Gewaltbezug bearbeitet. Daher lautet die Antwort auf Ihre Frage: Alles, was in den Büchern vorkommt, kommt aus meinen Erfahrungen, aus dem, was ich gesehen habe, was ich angefaßt, gefühlt oder geschmeckt habe. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann den, daß die Bücher nur Erfindungen wären.

B: Ihr nächster Roman, Die Schritte des Falken, ist für September angekündigt. Wovon handelt die Geschichte?
AV: (Lacht) Diese Geschichte ist der erste Krimi, den ich geschrieben habe. Der erste… ich hasse diesen Ausdruck… Whodunit-Roman, den ich je schrieb. Davon abgesehen handelt er von den gleichen Charakteren und denselben Themen. Die Essenz der Geschichte ist, daß es einen Serienkiller gibt, der einige schreckliche Dinge getan hat. Die verdächtige Person sitzt im Gefängnis. Burke ( die Hauptfigur in den meisten Romanen von Vachss) findet heraus, daß diese Person unschuldig ist, der Killer ist einer von zwei sehr unterschiedlichen Polizisten. Ein Mann und eine Frau, beide aus seiner Vergangenheit. Und so dreht sich die Geschichte darum, wer von beiden es war, und das, wenn ich meinen Job ordentlich gemacht habe, bis zum Schluß.

B: Planen Sie eine Lesetour mit Erscheinen dieses Buchs?
AV: Sowas mach ich eigentlich nicht. Was ich gelegentlich tue, auch bei diesem Buch, an zwölf Tagen besuche ich zwölf Städte und kombiniere das mit anderen Treffen und Erledigungen. Das funktioniert eigentlich ganz gut.

B: Ich nehme mal an, es wird keine Treffen in Kanada geben?
AV: Nein (lacht). Das sind eher wirtschaftliche Entscheidungen, keine literarischen. Meiner Vermutung nach wird das einfach nur nach kostenrelevanten Gesichtspunkten entschieden. Ich kenne eigentlich niemanden, der nach Kanada geht, außer kanadische Autoren. Zur Zeit ist ein Kanadier einer meiner Lieblingsautoren: Charles de Lint. Ich denke, er hat eine Kanada-Tour gemacht, aber er ist auch der einzige, den ich kenne.

B: Wen lesen Sie noch gerne?
AV: Charles ist einer davon, Eugene Izzi, James Colbert, Chet Williamson, Joe Lansdale, Ardath Mayhar, Alice Hoffman, Martha Grimes, Walter Mosley, Rod Thorp, eine ziemlich lange Liste. Ich bin keiner dieser erbärmlichen Hundesöhne, die nur ihr eigenes Zeug lesen oder das von Toten. Ich habe keinen einzigen Toten erwähnt, obwohl auch einige von ihnen zu meinen Favoriten gehören, aber ich denke, in diesem Fall sind sie irrelevant.

B: Mein persönliches Lieblingsbuch von Andrew Vachss ist Hard Candy, hauptsächlich weil es mein erstes war? Gibt es eins, auf das Sie besonders stolz sind?
AV: In Bezug auf das Schreiben? Sie müssen mir erklären, worauf ich stolz sein sollte. Stolz auf das Schreiben? Stolz auf was?

B: Das Schreiben, die Story oder etwas, das Sie geschaffen haben, mit dem Sie am zufriedensten sind.
AV: Ich denke mein Lieblingsbuch ist natürlich mein Waisenkind, Shella.

B: Hatten die Veränderungen, die es kürzlich in der Comic-Industrie gab, überhaupt irgendeinen Einfluß auf Sie?
AV: Sie meinen diese Vertriebsgeschichte? Nein, nicht wirklich, weil ich mich damit ja gar nicht auskannte. Meine neuen Sachen kommen erst nach den ganzen Veränderungen raus, daher kann ich die Frage nicht beantworten. Vielleicht in einem Jahr, aber im Moment weiß ich das wirklich nicht.

B: Gibt es irgendwelche Berichte über, oder weiterführende Arbeiten an der Comic-Adaption von Blue Belle?
AV: Das ist eine verdammt gute Frage. Die Antwort ist: Ich weiß nicht genau (lacht). Als wir den Entwurf zum ersten Mal sahen, waren wir damit sehr, sehr unzufrieden. Wir kamen alle überein, es erstmal sein zu lassen und es später mit neuem Personal nochmal zu probieren. So weit sind wir bis jetzt gekommen.

B: Bis zu diesem Zeitpunkt haben Sie exklusiv mit dem Dark Horse Verlag an Hard Looks, Underground und Predator gearbeitet. Gibt es Pläne für eine erneute Zusammenarbeit mit ihnen?
AV: Sicher, die neue Cross-Serie ist für Oktober vorgesehen.

B: Planen Sie irgendwelche Zusammenarbeit mit anderen Verlagen?
AV: Zur selben Zeit wie das Batman-Buch wird eine Comic-Adaption herauskommen. Im November.

B: Wird die Batman-Geschichte dieselben Themen behandeln wie die ‘Burke’-Romane?
AV: Ich würde keine Auftragsarbeit annehmen, ausgenommen man läßt mich die Charaktere für exakt meine Sachen benutzen. Es ist ein hochspezifisches Buch, das zum Boykott von in Thailand hergestellten Waren aufruft. Es handelt von Kindersexringen in Thailand.

B: Beim letzten Verlegertreffen gab es Gerüchte, Sie würden eine Serie von Superheldengeschichten schreiben…
AV: Wie haben Sie denn davon erfahren?

B: Naja, wir reden mit Leuten… erfahren Sachen, Sie wissen schon.
AV: Kein Kommentar, ich habe bis jetzt im Stillen daran gearbeitet, ohne darüber mit irgendjemandem zu reden. Dachte ich bisher. Zu diesem Zeitpunkt ist das Problem, den richtigen Zeichner zu finden, mehr werde ich dazu nicht sagen.

B: Möchten Sie, daß ich die Frage vermeide?
AV: Das ist mir egal. Ein Gerücht ist ein Gerücht. Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen hatte.

B: Während Ihrer Arbeit mit Dark Horse hatten Sie Gelegenheit mit einigen ausgezeichneten Leuten zusammenzuarbeiten, wie z.B. Timothy Bradstreet, Omaha Perez, Paul Chadwick und Gary Gianni. Gibt es einen Künstler, der Ihre Arbeit Ihrer Meinung nach am besten einfängt?
AV: Geof Darrow.

B: Jeff Darro?
AV: Ja, uneingeschränkt. ich denke, Geof Darrow ist ein Genie.

B: D..A..R..R..O..?
AV: D..A..R..R..O..W.. Haben Sie noch nie was von Geof Darrow gehört?

B: Ich kenne den Namen nicht. Was hat er für Sie gemacht?
AV: Jesus Maria und Josef. Also gut, haben Sie jemals Another Chance to Get it Right (Mit jedem Kind wird die Welt neu geboren) gelesen? Erinnern Sie sich an das Stück in der Mitte, über die Bekämpfung dieser Syphilliskette? Der Kerl, der mit den riesigen Bilderrahmen beginnt und sich zu den ganz winzigen vorarbeitet, das ist Geof Darrow. Geof macht all die Cover für die vorgesehene Cross-Serie. Wir konnten ihn nicht dazu bringen, die ganzen Geschichten zu machen, weil Geofs Arbeit so... kompliziert ist, so detailliert, daß sein Produktionstempo sehr langsam ist.

B: In dem Geschäft gibt es viele, die langsam arbeiten.
AV: Stimmt, aber was ich sage ist: Bei Geof gibt es einen Grund dafür, daß er so viel Zeit braucht.

B:Gibt es einen Illustrator oder Künstler, mit dem Sie noch nicht gearbeitet haben, mit dem Sie aber gerne arbeiten würden? Oder jemanden, mit dem Sie gern nochmal arbeiten würden, außer natürlich Geof Darrow?
AV:Eigentlich die, die Sie erwähnt haben, außer… sie sagten Perez, diesen Namen kenne ich nicht.

B: Omaha Perez. Er war Künstler bei Underground.
AV: Ich hab mit diesen Leuten nicht gearbeitet. Lassen Sie mich das mit Underground erklären: Alles, was ich für Underground getan habe, war eine Welt zu entwerfen und die vier Prosa-Storys zu schreiben. Das war's. Sonst hab ich nichts angerührt. Ich hab die Finger von den Geschichten gelassen, ebenso von den Zeichnungen. Für mich ist es also nicht so, als ob ich überhaupt jemals mit deren Illustratoren gearbeitet hätte. Das ist etwas, was ich nicht mehr machen würde. In der Zukunft werde ich über jede derartige Arbeit sehr viel mehr Kontrolle haben. Es war ein Fehler, das bißchen Kontrolle, das ich hatte, abzugeben.

B: Viele der Geschichten in Underground waren sehr gut.
AV: Ich kann Ihnen da nicht zustimmen, die Storys mögen gut gewesen sein, schlecht oder unbedeutend, aber sie hatten nichts mit dem Underground zu tun. Das waren einfach nur normale Geschichten, die in den Untergrund transportiert wurden, aber sie handelten nicht davon. Ich werde den Untergrund wieder auferstehen lassen, aber ich werde es auf meine Weise tun.

B: Vielen Dank für Ihre Zeit, Mr. Vachss. Ich wünsche Ihnen alles Gute.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Mr. Vachss nochmal für dieses Interview zu danken, ebenso für seine Geduld mit meinem Stammeln und Stottern.


Dieser Artikel erschien im Original hier

Deutsche Übersetzung 2000 Bernd Heinrich für The Zero


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