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The Official Website of Andrew Vachss

 

Andrew Vachss und Claus Leggewie

im Gespräch

Über das Böse

Eine Leseprobe aus einem transatlantischen Dialog

 

LEGGEWIE: Warum sollen sich die Leute bewegen? Die haben doch Sie, den Racheengel, der alles für sie erledigt.

VACHSS: Das ist eine sehr gute Frage. Deswegen hüte ich mich in meinen Büchern, Burke als den großen Alleskönner zu zeigen, ihn um Himmels willen nicht zu idealisieren à la Raymond Chandler. Burke ist ein Mann ohne Illusionen, ohne Beziehungen, und er ist voller Aggressionen und zugleich auch voller Angst. Er ist ein Berufsverbrecher, kein edler Held. Und gewiß kein Supermann. Wie kann einer, der die Menschen so vehement haßt, als Retter der Gesellschaft angesehen werden?

LEGGEWIE: Aber Sie sind nicht so "daneben", Sie geben sich kalt und effektiv, und deshalb eignen Sie sich als der Stellvertreter, der Rächer. Was teilen Sie mit Ihrem Romanhelden?

VACHSS: Burke und ich haben denselben Geschmack bei Frauen, Rennpferden, Hunden und beim Blues... ...

LEGGEWIE: Aber Jean-Paul Sartre wollen Sie wohl auch nicht sein. Und worin unterscheiden Sie sich von Burke, Ihrem Helden?

VACHSS: Burke ist zuerst einmal der Prototyp des mißbrauchten Kindes - ein Mensch, der Zeit seines Lebens zwischen Angst und Aggressivität hin und her schwankt. Er betreibt nicht Selbstjustiz, er rächt nicht den Kindesmißbrauch, er rächt sich. Wer seine kleine Welt nicht kennenlernen will, lernt auch ihn nicht kennen. Burke ist ein Patriot, aber sein "Land" ist sehr klein und nur von seiner "Wahlfamilie" bewohnt. Anders als einige schlechtinformierte "Analytiker" meinen, wacht Burke morgens nicht mit dem Vorsatz auf, den Kindesmißbrauch zu bekämpfen. Burke ist ein Dieb, ein Krimineller mit einem langen Strafregister, ein Gewohnheitsverbrecher. Er ist kein "edler Wilder", kein Robin Hood. Wenn einer es auf seine Familie abgesehen hat, wenn einer seine Leute bedroht, kann er sogar ein Mörder werden. ... ...Aber der wesentlichste Unterscheid zwischen uns beiden ist der: Burke ist ein professioneller Schwindler, dessen wichtigste Waffe die Lüge ist. Meine wichtigste Waffe ist die Wahrheit.

***

LEGGEWIE: Sie müssen sich irgendwann gefragt haben: warum tun Leute so was? Welche Leute sind dafür besonders anfällig oder prädestiniert?

VACHSS: Es gibt keinen biologischen Code für Kinderschänder, notorische Vergewaltiger und Mörder - einfach keinen. Wir sind so, wie wir erzogen worden sind. Natürlich sind wir , was Intelligenz, die Größe, die Augenfarbe und so weiter angeht, genetisch unterschiedlich. Aber mir ist noch nie - ich will damit nicht sagen, daß es so was nicht gibt, aber ich habe nie einen kennengelernt oder von einem gehört - ein Serienmörder, ein vielfacher Vergewaltiger oder chronischer Kinderschänder untergekommen, der als Kind nicht ebenfalls entsetzlich mißhandelt worden ist.

LEGGEWIE: Die Täter ahmen nach und halten sich für einen "Seelenmord" schadlos, der ihnen selbst widerfahren ist.

VACHSS: Das entschuldigt gar nichts - eine Erklärung ist keine Rechtfertigung. Auf jedes furchtbar mißbrauchte Kind, das später zum Serienmörder wird, kommen Tausende Mißbrauchte, die sich standhaft weigern, es ihren Unterdrückern gleichzutun. Deshalb sage ich ja, daß es eine freie Entscheidung gibt. Deswegen glaube ich ja, daß dies so entscheidend für das menschliche Verständnis ist. Wer nicht bereit ist zu sagen: Verhalten ist eine Frage der freien Wahl, der mißachtet all jene, die so entsetzlich behandelt wurden und es trotzdem schaffen, ein moralisch einwandfreies Leben zu führen. Das an sich ist Heldentum in höchster Vollendung. Wenn Sie sagen, freie Entscheidung gibt es nicht, entschuldigen Sie vielleicht die Bestien, aber Sie beleidigen auch die Helden. Das wäre für mich unvertretbar. Manchmal können wir früh genug eingreifen und so die Entscheidung beeinflussen. Manchmal können wir den Pfad ein bißchen verändern, den ein mißbrauchtes Kind später, als Erwachsener, beschreitet. Der Prozeß ist vergleichbar mit einem Eimer Wasser, in den man eine Zementmischung schüttet. Für einen gewissen Zeitraum nimmt der Zement jede gewünschte Form an, solange man vorsichtig und geschickt vorgeht. Deswegen ist es durchaus sinnvoll, mit Straftätern zu arbeiten, solange sie jung sind. Wenn man früh genug (und kompetent genug) eingreift, kann man noch etwas erreichen. Aber wenn der Zement hart wird ...


Claus Leggewie lehrt an der Universität Gießen Politik und hat verschiedene vieldiskutierte Bücher veröffentlicht.


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