Veröffentlicht am 24.05.98

 

Kampf dem Missbrauch

 

  • Der Schriftsteller Andrew Vachss hat eine Mission: Den Schutz von Kindern vor Raubtieren ("predators")

INTERVIEW

  • WER: Andrew Vachss
  • WAS: Autor von "Safe House" (Knopf, $24)
  • WEITERE INFORMATIONEN: Vachss hat eine Website, http://www.vachss.com, Sie enthält eine umfangreiche Datensammlung zu den Belangen der Kinder und Artikel über den Autor.

Von Gene Williams
TIMES STAFF WRITER


ANDREW VACHSS hat einen schmerzhaften Kieferabszeß, der, so erklärt er, "explodiert," ist, und er ist mehr als nur ein bißchen müde. Er hat eine 16 Städte umfassende Lesetour hinter sich und ist offensichtlich unglücklich, sein Zimmer im Ritz Carlton in San Francisco noch nicht aufsuchen zu können. Daher macht ihn die Nachricht, daß der Fotograf nicht zu diesem eilends verabredeten Interview erschienen ist, nicht wirklich traurig.

Eigentlich ist er sogar froh darüber, so froh jedenfalls, wie er eben werden kann. Kein Fotograf heißt: Vachss wird nicht gebeten, vor häßlichen Statuen zu posieren oder mit irgendwelchen lächerlichen Requisiten rumzuspielen oder, Gott behüte, zu lächeln.

Andrew Vachss lächelt nicht. Nicht für die Kamera, das sowieso nicht. Niemals.

"Bei dem was ich tue, ist Lächeln nicht angebracht" ,sagt er. "Ich bin so mit diesem Thema verbunden, daß ein Lächeln fast obszön wäre."

Vachss führt durch seine New Yorker Anwaltskanzlei und seine erfolgreichen Bücher einen leidenschaftlichen, wenn auch manchmal einsamen Kreuzzug zum Schutze der Kinder. Er kämpft gegen die, wie er sagt, Raubtiere ("predators") dieser Welt. Ganz der Vertretung geschlagener und gequälter Kinder gewidmet, ist er entsetzt über das Böse, das Menschen tun, und empört, daß nicht mehr Menschen an diesem "Heiligen Krieg" teilnehmen. Was, fragt Vachss, gibt es denn da zu lächeln?

"Natürlich bin ich wütend" räumt er ein, als ich vorsichtig einwende, daß er chronisch wütend zu sein scheint. "Ich bin wütend, weil es weitergeht. Kinder sind immer noch in Gefahr."

Haß auf die Räuber

Ironischerweise hat Vachss (wie " Ex ") in keiner Weise einen besonderen Bezug zu Kindern. Vachss, 55, hat keine eigenen Kinder. Er hatte sich vor Jahren einer Vasektomie unterzogen, die, so sagt er, weiterhin ausgezeichnet funktioniert.

"Ich liebe einige Kinder, andere nicht", sagt er mit einem nüchternen, knochigen Achselzucken. "Ich würde ja auch nicht allgemein sagen, daß ich Hunde mag. Einige mag ich, andere nicht. Wenn Männer behaupten, Frauen zu lieben, meinen sie die Spezies, nicht jede einzelne Frau. Man kann sie unmöglich alle lieben."

"Ich habe niemals gesagt, daß ich all das tue, weil ich Kinder besonders liebe. Ich tue es, weil ich die Täter außerordentlich hasse."

Ganz gleich, ob man es Liebe oder Haß nennt, Vachss hat eine Mission: Schütze die Unschuldigen, schick die Schuldigen zum Teufel! Seine Bücher um den gewalttätigen, asozialen Burke sind grob und düster, sie packen Dich bei der Gurgel und ziehen Dich in seine brodelnde Welt, auch wenn Du um Dich trittst und schreist.

Vachss würde vermutlich alles sagen, alles tun, um sein Ding durchzuziehen.

Schmerzhafte Denkzettel

Die Manschette beispielsweise, die er an seinem rechten Handgelenk trägt, ist das Ergebnis eines Schlages gegen die Wand eines Gerichtssaals.

" Ich versuchte zu demonstrieren, wie die Hüfte eines Kindes mit einem einzigen Schlag gebrochen werden kann." sagt er mit seiner tiefen, beißenden Stimme in die Stille des Ritz Carlton Café. "Ich hatte bereits früher mit großem Erfolg in diese Wand geboxt, aber diesmal hatte ich das Pech, einen Nagel zu treffen. Das Handgelenk brach, und jetzt muß ich diese Manschette tragen, damit es nicht ständig luxiert."

Nach seinem Aussehen zu urteilen hat Vachss in diesem Krieg größere Schäden davongetragen als nur ein gebrochenes Handgelenk. Seine Gesichtszüge erscheinen hager und mitgenommen, sein gesundes linkes Auge (über dem rechten trägt er seit einer Verletzung in Kindertagen eine Augenklappe) ist eingesunken und von dunklen Ringen umgeben. Sein Haar ist ergraut und ist an diesem Tag sowieso etwas struppig. Obwohl einige Frauen diesen Look sexy finden -- "Wenn Du willst, daß Frauen Dich sexy finden, schütze Kinder! Das ist der einzig wahre G-Punkt auf der ganzen Welt." -- ist es der Ausdruck eines Mannes, der zuviel Verderbtheit gesehen hat.

Und das hat er.

Zu Beginn seiner Karriere arbeitete er beim U.S. Public Health Service. Beim Aufspüren von Geschlechtskrankheiten entdeckte er, wie grausam Menschen zueinander sein können.

"Ich dachte, ich sei ein zäher Bursche, der alles schon gesehen hat." sagt Vachss, der in einer armen New Yorker Nachbarschaft aufwuchs, "Aber ich wußte nicht, daß es Leute gibt, die Babys vergewaltigen. Ich könnte das beschreiben, wenn Sie möchten, aber es ist verdammt übel. Und ich habe das wieder und wieder gesehen, solange bis ich wirklich wütend war."

Die 'Jury' erreichen

Seine Arbeit als Anwalt half ihm, einen Teil dieser unterdrückten Wut freizusetzen, aber das genügte nicht. Also fing er an, seine Burke-Romane zu schreiben, die härteste Hard-Boiled-Fiction seit Raymond Chandler.

"Ich wollte eine größere Jury als die vor Gericht." , erklärt er und nimmt schmerzverzerrten Gesichts einen Schluck heißer Schokolade. "Mein erstes Buch war ein Sachbuch. Es wurde nicht besonders viel gelesen und erreichte die Öffentlichkeit nicht so, wie ich es mir erhofft hatte.Daher entschloß ich mich, ein Buch zu schreiben, in dem ich die Fußnoten wegließ."

Dieser erste Roman, "Flood" übertraf Vachss' kühnste Erwartungen.

"Mein Traum wäre es gewesen, mit meiner Schreiberei so an die 30.000 Dollar im Jahr zu machen. So hätte ich weiterhin meine Kanzlei betreiben können, ohne kriminell zu werden."

"Flood" brachte ihm sogar deutlich mehr ein, aber, dabei bleibt er, es war kein besonders gutes Buch.

"Es ist völlig überladen. Ich dachte, es würde ein Kampf über eine Runde werden, daher wollte ich mit jedem Schlag punkten."

Es wurde kein kurzer Kampf. Seither hat Vachss zehn weitere Bücher über Burke geschrieben, das Neueste, "Safe House" , eingeschlossen.

"Safe House" handelt vom gefährlichsten aller Räuber -- dem häuslichen Täter, der sich langsam an sein Opfer heranpirscht.

Die harte Realität

Es ist ein für Vachss typisch schonungsloser Roman aus dem tiefen Abgrund ("Ground Zero"), wie er selbst es nennt. Burke verschafft sich Zugang zu einer Untergrundorganisation und wird sehr bald in die Angelegenheiten einer Weiße-Überlegenheit-Gruppe verwickelt. Wie immer faszinierender Lesestoff, voll harter Dialoge, Action und Szenen, bei denen man zusammenzuckt, als ob man über eine blutüberströmte Leiche stolperte.

Manche Kritiker nennen Vachss' Bücher zu gewalttätig, und Hollywood erwirbt die Filmrechte auch nur, um sie wieder zurückzugeben. "Zu düster" heißt es. Vachss kümmert sich einen Dreck darum. Er versucht, Soldaten für seinen Krieg zu rekrutieren; wenn die Kritiker das nicht verstehen, ist das deren Problem.

"Was kümmert mich das Gewäsch irgendeines Idioten?", fragt er. "Wir sind dort unten, im Abgrund, und sehen diese Dinge. Kritiker sehen gar nichts. Sie behaupten, sie wollen Noir, das echte Zeug, aber die würden das echte Zeug nicht erkennen, wenn sie es mit eigenen Augen sähen.

"Fazit: Sie konnten die Bücher nicht aufhalten. Meine Romane wurden in ein Dutzend Sprachen übersetzt und ich schreibe weiter."

Die Frage nach seinen Fähigkeiten als Schriftsteller wischt Vachss beiseite.

"Das stand niemals im Mittelpunkt", sagt er. "Vanilla Ice hat mit einem Album mehr Platten abgesetzt als Muddy Waters in seinem ganzen Leben. Ich kenne talentierte Schriftsteller, die es nicht schaffen, veröffentlicht zu werden. Meine Fähigkeiten als Autor kann ich nicht beurteilen, aber eins weiß ich: Wenn es sich nicht verkauft, bezahlen sie dich nicht für das nächste."

'Schreiben ist nicht vorrangig'

Sowohl seine Haltung als auch seine Art zu schreiben unterscheidet Vachss von den meisten anderen Schriftstellern. Zuerst stellt er das Buch vollständig in seinem Kopf fertig, erst dann tippt er es in den Computer. Die Schreibarbeit quetscht er irgendwo zwischen Kanzleiarbeit, Vorträge und Nachforschungen.

"Den Luxus, zu sagen, 'heute werde ich ausschließlich schreiben', konnte ich mir nie leisten' " so Vachss. "Das Schreiben ist für mich nicht vorrangig."

Und es macht ihm wohl auch keinen Spaß. Mit dem Gewäsch über das Schreiben aus reinem Vergnügen kann er nichts anfangen.

"Ich unterstütze die Theorie meines Vaters, daß es nur einen einzigen Grund dafür gibt, dich für irgendetwas zu bezahlen, und der ist: Ohne Bezahlung würdest du es nie und nimmer machen. "

Der Anflug eines Lächelns erscheint auf seinem Gesicht.

Ich schätze, es gibt doch noch einige Dinge, die ihm Freude bereiten.

"Ich bin froh, wenn ich mich mit den Dingen beschäftigen kann, die mir wichtig sind" sagt Vachss. "Manche Leute brauchen nicht so viel zum Glücklichsein. Für mich gibt es Glücksmomente, die die meisten nie erleben werden. Das Leben eines Kindes zu retten … das ist schon etwas, was mich glücklich macht."

Womöglich kann er darüber sogar lächeln.

Edition: TIMEOUT,  Section: C,  Page: 9


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