Vachss Populi

veröffentlicht von Mai-Juni 1998 bei Amazon.com

Vachss ist kein Mann, der sich für Fantasiewelten interessiert. Früher war er Direktor eines Hochsicherheitsgefängnisses und Bundesermittler. Er ist ebenso tough und nüchtern wie sein Protagonist Burke. Wenn Vachss gerade mal keine CD zusammenstellt, Comics schreibt, Filmdeals für seine Bücher aushandelt oder an seiner fast unüberschaubaren Website "The Zero" arbeitet, geht er seiner eigentlichen Tätigkeit nach. Er schreibt Romane und führt eine Anwaltskanzlei, in der er ausschließlich mißbrauchte Kinder und Jugendliche vertritt. All diese Dinge bilden zusammen seine einzigartige Mission, die er mit geradezu religiösem Eifer betreibt. Während er mit seinem zehnten Roman Safe House auf Tour war, legte der Krieger einen kurzen Halt bei Amazon.com ein.

Amazon.com: Safe House ist das neunte Buch in der Burke-Reihe. Können Sie uns erzählen, was Sie zu dieser Serie motiviert hat?

Andrew Vachss: Ich wollte einfach eine größere Jury. Ich stamme aus der Arbeiterklasse. Ich besitze keine Zeitung, keine Zeitschrift und keinen Radiosender. Ich hatte auch keine andere Möglichkeit, wie ich die Menschen mit diesem meiner Meinung nach sehr wichtigen Material hätte erreichen können.

Amazon.com: Womit wollen Sie sie erreichen? Worum geht's?

Vachss: Das Thema ist: Wir machen unsere eigenen Monster; bauen unsere eigenen Bestien. Das Thema ist Kindesmißbrauch in all seinen häßlichen Erscheinungsformen.

Amazon.com:Sowohl in Safe House als auch in den anderen Büchern schien es eine zyklische Beziehung zwischen den Monstern und deren Opfern zu geben. Können Sie darüber etwas sagen? Außerdem möchte ich wissen, ob Sie eine etwas klinischere Bezeichnung für die Monster vorschlagen könnten.

Vachss: Klinischere Bezeichnung? Ich denke, es gibt bereits viel zu viele gottverdammte klinische Bezeichnungen. Ich denke, es gibt zu viele Euphemismen wie "Pädophilie" für Kindesmißbrauch. Warum sollte ich eine klinische Bezeichnung finden wollen? Um damit irgendeine Jury irre zu machen? Damit die Leute den Unterschied zwischen "sick" und "sickening?" (krank/ekelerregend) nicht mehr sehen? Weil es Ihre religiösen Überzeugungen erschüttert, wenn ich etwas als "böse" bezeichne? Nein, ich sehe keine Notwendigkeit, das Böse klinisch zu betrachten. Ich finde eher, daß wir davon schon genug haben. Was mich wirklich krank macht, ist diese Vorstellung, man müsse Serienkiller analysieren, um zu verstehen, warum sie Menschen töten. Sie töten Menschen, weil es ihnen gefällt, Menschen zu töten, weil sie sich dabei gut fühlen. Und was die zyklische Natur angeht: Das ist ein Haufen Scheiße. Die meisten Leute, die mißbraucht wurden, mißbrauchen sich selbst, nicht andere. Es liegt nicht in den Genen und es ist nicht die einzig logische Folge eines Traumas. Es gibt viele verletzte oder traumatisierte Menschen, die niemals den Unterdrücker imitieren. Ein Soziopath - der klinische Ausdruck, den sie suchen - ist ein menschliches Wesen ohne jegliche Empathie. Fühle nur Deine eigenen Gefühle. Suche nur Deine eigene Befriedigung. Sei nicht einmal Angehöriger unserer Art. Nicht alle Soziopathen sind konventionelle Raubtiere ("predators"). Manche sind Politiker, andere Gebrauchtwagenhändler oder Geschäftsleute. Solange es soziopathische Verhaltensformen gibt, die in ihrem Ausdruck sozialverträglich sind, gibt es für diese Leute kein Problem.

Amazon.com: Sie würden also sagen, daß ein Soziopath entstehen kann, ohne in seiner Kindheit dem Einfluß eines anderen Soziopathen ausgesetzt gewesen zu sein?

Vachss: Natürlich! Natürlich. Klar. Die beste Möglichkeit, einen Soziopathen heranzuziehen ist es, ein Kind ohne Bindungen aufwachsen zu lassen. Man muß ein Kind nicht einmal anrühren, um es ihm unmöglich zu machen, Bindungen aufzubauen; Bindungen, die notwendig sind, um ein Teil unserer Art zu werden. Manche Kinder finden außerhalb eine Möglichkeit ganz zu werden, die ihnen zu Hause verwehrt wurde. Einige der mitfühlendsten, aufmerksamsten Menschen, die ich kenne, sogar einige der wahren Krieger im Kampf gegen die Bestie, hatten alle Voraussetzungen, selbst zur Bestie zu werden, so, wie sie behandelt wurden. Wenn Sie mich also fragen, ob man ohne den Einfluß eines Raubtieres zum Raubtier werden kann, dann ist die Antwort: Ja, durchaus. Man kann.

Das häufigste gemeinsame Merkmal von Soziopathen ist emotionaler Mißbrauch. Eine ständige Diät aus "Du bist fett", "Du bist doof", "Du bist häßlich", "Ich hätte dich abtreiben lassen sollen", "Geh weg!", "Ich will dich nicht berühren" und "Du ekelst mich an" hinterläßt mehr Narben auf einer Seele als ein Stoß oder ein Klaps.

Amazon.com: Glauben Sie, daß Burke ein Überlebender einer solchen Diät ist?

Vachss: Diesen Ausdruck benutze ich nicht. Er ist unsinnig und beleidigend. Ich war im Krieg. Leute wurden erschossen, man warf Bomben ab, startete Raketen. Ich wurde nicht getötet, ich habe überlebt. Whoopee! Was bedeutet das? Es bedeutet, daß ich Glück hatte. Die Menschen, die in den Kriegsgefangenenlagern leben, die wir Familien nennen, von dort entkommen und anschließend nicht nur produktive Mitglieder unserer Gesellschaft werden, sondern sich kümmern und gegen das Böse kämpfen, verdienen einen größeren Orden als "Überlebender".

Burke jedenfalls ist ein Krimineller. Das beschreibt ihn am besten.

Amazon.com: Warum beschäftigt sich die Kriminalliteratur — das Genre, dem man Ihre Arbeit am ehesten zuordnen kann — Ihrer Meinung nach so oft mit dem Bodensatz der Gesellschaft? Genauer gesagt, eignet sich die Struktur des Krimis besonders für Themen dieser Art?

Vachss: Was ist der Bodensatz, das möchte ich wissen? Ich schreibe über Freaks— tut mir leid, daß ich keinen besseren klinischen Ausdruck finde—die Kinderpornographie über ein Modem vertickern. In den Rezensionen eines 1987er Buchs hieß es "Wie können Sie nur alles so düster sehen?". Was heißt hier "düster sehen"? Ich sehe sogar sehr klar. Weil ich im "Ground Zero" lebe; ich mache diese Arbeit den ganzen Tag. Meine Arbeit ist nicht "aus den heutigen Schlagzeilen geklaut". Wenn man sich das mal überlegt, wäre es zu dem Zeitpunkt, wo man sie liest, immerhin auch schon zwei Jahre her. Ich möchte nicht mit diesem Wahre-Geschichte-Zeug in Verbindung gebracht werden. Ich behaupte nicht, besser zu sein, aber das hat nichts mit mir zu tun.

Wenn Sie den Bodensatz wollen, sehen Sie sich einen Typen hier in Seattle an, Jack Olson. Er ist der Meister des Bodensatzes. Ich gebe zu, er schreibt keine Krimis. Er schreibt —oh Gott— Non-Fiction. Aber das macht er teuflisch gut, und er hat alle Fakten.

Amazon.com: Reden wir von den aktuellen Schlagzeilen. Was sollte man Ihrer Meinung nach mit den beiden Jungen machen, die in Arkansas vier Menschen getötet haben?

Vachss: Vorausgesetzt, sie haben das getan, was man ihnen zur Last legt? Erst mal sollte man feststellen, ob einer von ihnen klinisch geistesgestört ist. Dann muß man überlegen, ob zwischen den beiden eine Schaf/Schäfer oder eine Herr/Sklave-Beziehung besteht. Für mich ist das einzig sinnvolle klinische Kriterium, das man bezüglich einer Unterbringung / Inhaftierung berücksichtigen sollte, die Gefährlichkeit. Die Verantwortlichen sollten sich dementsprechend verhalten. Außer NCAA Anwerbern gibt es auf der ganzen Welt niemanden mehr, der an Rehabilitation glaubt...

Wenn man jemanden aber frühzeitig erwischt - das weiß ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Leiter eines Hochsicherheitsgefängnisses — kann man manchmal — wenn die Sterne günstig stehen — die Empathie-Karte in das Spiel zurückstecken.

Wenn man dabei Erfolg hat, wird es "Rehabilitation" genannt. In Wahrheit ist das aber "Habilitation". Rehabilitation... Meine Hand war gebrochen. Jetzt funktioniert sie wieder. Sie hat ihre frühere Funktionsfähigkeit wiedererlangt. Ted Bundy hat zu keinem Zeitpunkt "funktioniert". Klar? Also ist das ganze Konzept von Rehabilitation an diese Leute verschwendet. Wenn man rechtzeitig eingreift, hat man eine Chance, das ist das Beste, was ich sagen kann.

Amazon.com: In den Büchern wird der Gerechtigkeit oft dadurch Genüge getan, daß Burke jemanden tötet.

Vachss: Ich kann Ihnen nicht zustimmen. Burke ist keine Bürgerwehr.Er ist ein Patriot, nur daß sein Land ungefähr so groß ist wie diese Kammer, in der wir hier sitzen. Wenn Sie aus seinem Land draußen bleiben, brauchen Sie sich keine Gedanken um eine Schießerei zu machen. Sehen Sie sich Burke an, diesen Prototypen eines mißbrauchten Kindes: übervorsichtig, mißtrauisch, seiner Wahlfamilie so überaus verpflichtet — nicht seiner DNS-Familie, die ihn gefoltert hat, auch nicht dem Staat, der ihn erzogen hat, aber der Familie, die er sich ausgesucht hat. Daher ist Mord eine natürliche Konsequenz eines Angriffs auf einen Angehörigen dieser Familie. Burke ist kein Killer. Er geht nicht raus auf die Straßen und sagt: "Gut, ich zieh jetzt los und bringe der Gerechtigkeit ein paar Kinderschänder zum Opfer." Aber seine Religion - dieselbe wie meine - ist Rache.

Amazon.com: Wie nahe ist Burkes' Verhalten an Ihrer Vorstellung davon, wie es in der Wirklichkeit sein sollte?

Vachss: Wenn es darum geht, die Welt zu verändern — meine monströse Mission — ist Burke eine ineffektive Person. Er ist einfach nur eine gefährliche Schlange — wenn Sie den Stein aufheben, werden Sie gebissen. Das ist kein Weg, Probleme zu lösen. Sehen Sie, im Staate New York drohen Ihnen für Sex mit einem Kind unter elf Jahren 25 Jahre Gefängnis. Außer wenn man mit dem Kind verwandt ist.Dann treten die Inzest-Statuten in Kraft und bei der Verurteilung durch die höchste Instanz kommt Bewährung in Frage. Yeah, da machen Sie große Augen, was? So ist nun mal das Gesetz dieses Landes. Bis das sich ändert, unternehmen Sie gar nichts gegen Monster, verstehen Sie? Bis sich da was ändert...

Wenn ich mit einer Tasche voll Kokain erwischt werde, gehe ich weitaus länger ins Gefängnis als für einen Sattelschlepper voller Kinderpornos. Glauben Sie, man könnte die Ungeheuer mit Waffengewalt bekämpfen, solange das so bleibt? Glauben Sie mir: Wenn ich dächte, daß es so wäre, würden Sie Gewehrfeuer hören! Aber ich glaube nicht, daß die Tötung eines Degenerierten irgendetwas ändern könnte,auch wenn es sehr erfreulich wäre. Ich glaube, wie gesagt, nicht mal an die Todesstrafe für diese Leute. Ich glaube an lebenslange Haft oder Unterbringung. Ich will Sie nicht unter uns wissen. Sie gehören nicht zu uns. Nein, ich glaube nicht, daß Mord eine Antwort ist.

Amazon.com: Sie halten also lebenslange Haftstrafen für die Antwort?

Vachss: Für den chronischen, rückfällig werdenden Kinderschänder? Absolut, eindeutig. Dies nicht zu tun, ist eine Todsünde, für die jeder Politiker verantwortlich ist. Stattdessen präsentieren sie uns solchen Mist wie Megan's Law. Ich werde Ihnen Megan's Law übersetzen, okay?

Megan's Law sagt der Öffentlichkeit folgendes: Unter Euch ist eine Bestie, welche wir, die Politiker, niemals hätten freilassen dürfen. Haben wir aber. Wir werden Euch aber einen Vorteil verschaffen, indem wir Euch die Adresse geben. Natürlich verspechen wir, daß er sich niemals die Haare färben, einen Bart bekommen oder umziehen wird, ohne uns Bescheid zu sagen. Ihr seid also absolut sicher. Es ist ein Experiment mit jedermanns Kindern...

Amazon.com: Ihre Bücher sind teilweise sehr sexy. Burke hat in den Romanen oft Affären. Viele diese Frauen werden oder wurden sexuell mißbraucht. Die Grenzen zwischen einer gesunden, liebevollen sexuellen Beziehung und etwas viel komplizerterem, möglicherweise sündhaftem, sind manchmal fließend. Bewegen Sie sich hier nicht auf gefährlichem Gebiet? Schadet das den Büchern oder nützt es ihnen?

Vachss: Naja, wenn ich es nicht für zweckdienlich hielte, hätte ich es nicht da reingenommen. Ich glaube, daß die Sexualität eines Menschen durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt wird. Es wäre falsch, diese Tatsache zu zensieren oder auszuklammern aus dem, was ich zu sagen versuche. Es wäre falsch, hier nicht ehrlich und geradeheraus zu sein. Die Bücher sind in gewisser Weise ein psychiatrischer Spiegel. Es gibt Leute, die all das sexy finden. Für die macht es Sinn, es deckt sich mit ihrer Persönlichkeit oder es ist etwas, das sie erlebt haben. Andere sind entsetzt und schockiert. Das ist deren Erleben, nicht mein Schreiben. Ich habe niemals etwas geschrieben, das nicht schon einmal passiert ist.


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