Andrew Vachss hat Kultstatus erreicht. Ein ergebener Anhänger auf Hawaii hat über ihn eine
Website im Internet
eingerichtet. Ein großes Verlagshaus, Knopf, hat gerade seinen zehnten Roman,
Footsteps of the Hawk, veröffentlicht. New Line Cinema verfilmt seinen Roman Flood. Er selbst stellt gerade ein neues Buch fertig, False Allegations, es wird 1996 erscheinen.
Und Warner Books hat gerade sein Hardcover Batman: The
Ultimate Evil veröffentlicht, zusammen mit einer Comic-Adaption von DC Comics. Darin enthüllt der Rächer aus
Gotham die schändlichen Verbrechen gegen die Gesellschaft: Kindesmißbrauch in all seinen Erscheinungsformen.
Die verlegerischen Projekte sind ein hilfreicher Teil einer Karriere, die in Kanzleien und Gerichtssälen
stattfindet. Vachss ist ein ernsthafter, leidenschaftlicher Verteidiger der Jungen und Hilflosen, seine Romane sind
eine Kanalisierung der unglaublichen Energie und Wut, die der Wunsch, die Täter hinter Gittern zu sehen, in ihm erzeugt.
Diese immense Aufmerksamkeit hat Vachss ins Rampenlicht gebracht. Es gibt Leute, die es gerne sähen, wenn
Vachss seine Bemühungen einstellte: er erhält üble Briefe und sogar Morddrohungen.
Er betont, daß er diese Drohungen nicht wegen seines Schreibstils erhält, sondern wegen
des Inhalts seiner Bücher und seiner Anwaltstätigkeit. Diese beiden gehören eng zusammen.
Seine Arbeit als Anwalt übt einen unmittelbaren Einfluß auf sein kreatives Schaffen aus.
Von Kinderprostituierten und kranken Killern zu Porno-Freaks und Baby-Organen auf dem Schwarzmarkt
hat Vachss tatsächlich alles gesehen; er sagt, seine Romane sind ein Spiegel dessen. Sein Ziel ist es,
die Menschen aufzustören sie dazu zu bringen, sich einzumischen.
Vachss (man spricht es "Väx" aus) war nicht immer dieser tapfere Anwalt. Nachdem er sich eine Zeit lang mit langweiligen
Jobs herumgeschlagen hatte, wollte er was anderes sehen, sein Leben auf neuen Kurs bringen.
Er landete bei einem Job als Ermittler für sexuell übertragene Krankheiten. Die Nachforschungen führten ihn
regelmäßig zu kleinen Kindern, die vergewaltigt und mißbraucht worden waren.
Davon angewidert, gelobte Vachss einen Kreuzzug gegen diese Kriminellen zu führen, die so oft straffrei ausgehen oder
Erziehungsberechtigte ihrer mißbrauchten Kinder bleiben.
Knapp, angespannt, voller schmutziger Szenarios, erinnert Vachss' messerscharfer Stil an
Raymond Chandler und andere prominente Krimi-Autoren. Anfragen über persönliche Einflüsse weicht er
immer aus. (Trotzdem erwähnt er seine Lieblingsautoren, unter anderen Martha Grimes, Alice Hoffman und seinen
Freund Nick Pileggi.) In Batman: The Ultimate Evil richtet der Ritter mit dem Cape seine
Kraft auf den Kampf gegen Kindesmißbrauch in Gotham und entwickelt sich dabei vom Verbrechensbekämpfer zum
"Krieger". Als ein Echo auf Vachss' eigenen Anspruch, diese Verbrechen zu verhindern, sprengt Batman einen
Kinderhandelsring in Asien. Während er die Geheimnisse seiner eigenen Kindheit zutage fördert, erfährt
Bruce Wayne über den Kampf seiner Mutter gegen das kranke Verhaltensmuster des Kindesmißbrauchs
und daß seine Eltern von den Anführern eines Porno-Rings in Udon Khai, Thailand, getötet wurden.
Batman ist das traurige Waisenkind ohne glückliche Kindheitserinnerungen:
sie wurden ihm weggenommen und ausgelöscht. Ähnlich wie Burke,
der Kopfgeldjäger aus New York City, der in Vachss' Romanen gegen das Gesetz arbeitet,
steht Batman als Einzelner für Gerechtigkeit und Rache. Hier treffen sich
die Parallelen zwischen Burke, Batman und Vachss.
Dieses Buch ist wirklich ein Ruf zu den Waffen. Der Epilog ist ein wahrhaft verstörender Essay von
David Hechler, ein Angriff auf die Kinderporno-Industrie in Thailand, und eine Erklärung, wie man sie aufhalten
kann. Man findet dort Adressen von Human Rights Watch und Don't! Buy!Thai!,
einer Organisation, die den Boykott aller legalen Exporte aus Thailand bewirbt.
Sein Comic-Verlag, Dark Horse Comics, unterstützt diesen Boykott.
Vachss schrieb kürzlich in einem von DC Comics arrangierten Online-Chat, daß der Kampf gegen die Kinderporno-Industrie
eine Operation ist, die an der Basis geführt werden muß.
"Wenn auf einem Label steht 'Made in Thailand', legen Sie das Produkt zurück ins Regal
und dann erzählen Sie dem Händler genau, wieso Sie das tun."
Burke und Batman werden immer Wege finden, auf denen sie durchkommen. Ihre Fähigkeit, zu wachsen und zu gedeihen
gründet nicht auf Urinstinkten, sondern davon, daß sie erkennen und verarbeiten, was sie gelernt haben.
Das klingt wenig überraschend stark nach Vachss. "Ihr Handeln
reflektiert eine Ansammlung von Trauma-bedingtem Wissen", erklärt Vachss. "Sowas
merkt man sich sehr viel besser irgendein als Examen."
Ann Pryor
ALEXANDER LAURENCE: In Ihren Büchern scheint jeder irgendeine
moralische Krise durchzumachen. Wie sollte man dieses Problem Ihrer
Meinung nach praktisch beheben?
ANDREW VACHSS: Ich bin keiner von diesen Predigern. Für jedes dieser Probleme gibt es
dieselbe Lösung: es gibt einen Feind, und gegen den mußt Du kämpfen.
Sehr viele der jungen Menschen mit denen ich in der ganzen Welt rede ganz egal ob das Oslo ist
oder Melbourne oder Brooklyn, es ist überall dasselbe die wollen wirklich an einem Krieg teilnehmen.
Damit meine ich nicht, daß sie sich Waffen besorgen und Menschen töten wollen. Ich meine, sie wollen für etwas
kämpfen. Es ist ihnen nicht ganz klar, wofür es sich zu kämpfen lohnt,
daher geht eine ganze Menge Energie für Unsinn drauf. Dabei gibt es
legitime Feinde. Ich denke, daß es der menschlichen Natur entspricht, Gleichgewicht, Sicherheit und Frieden anzustreben,
und dafür kämpfen zu wollen. Das Gleichgewicht fehlt uns durchaus, aber der dazugehörige Krieg hat noch
nicht begonnen.
AL: Sie haben viel mit Serienmördern, Kinderschändern und Kriminellen
zu tun. Was halten Sie von der Vorstellung, daß Gefängnisse kriminelle
Karrieren produzieren?
AV: Es ist allzu simpel, den Gefängnissen die Verantwortung
zuzuschieben. Die Gefängnisse bekommen ihre Arbeit irgendwo her
in der Regel aus dem Mißbrauch von Kindern. Es gibt keinen
biogenetischen Code für einen Serienmörder. Wenn Ted Bundy und
Squeaky Fromme eine gute Kindheit genossen hätten, wären sie heute
keine Massenmörder. Man kriegt das, was man heranzieht. Das haben
wir anscheinend völlig vergessen. Der mütterliche Instinkt, über
den die Leute immer reden wir haben ihn fast zurückgebildet.
Sehen Sie sich das schrecklichste Tier des Dschungels an, den
Elefanten, dem nichts gefährlich werden kann. Aber ein Elefantenbaby
ohne seine Mutter ist nichts als Nahrung. Die Tiere haben schon
vor langer Zeit herausgefunden, daß eine Spezies, die ihresgleichen
nicht schützt, keine Überlebenschance hat. Ich gebe Ihnen ein
weiteres Beispiel. Warum verschwanden die Dinosaurier von der
Erde?
AL: Da gibt es so viele Theorien....
AV: Stimmt. Aber nur eine davon ist richtig. Weil sie Echsen
waren, die ihren Nachwuchs nicht beschützten. Schließlich kam
der Mensch und fand heraus, daß man sie im Ei töten kann. Und
wir haben es geschafft! Wir haben sie ermordet, sie konnten sich
nicht anpassen und starben. Die Haie haben überlebt, weil wir
da nicht rankamen. Wir werden nicht überleben, wenn wir weiterhin
unsere Kinder mißhandeln.
AL: Gab es den Mißbrauch von Anfang an?
AV: Seit es Kinder gibt, also schon immer. Darum geht's ja.
Wir sehen uns das bloß an und sagen: "Oh mein Gott, sieh doch
nur dieser ganze Kindesmißbrauch, den es jetzt überall
gibt...." Für diese Ansicht gibt es keinerlei Beweise, alle Beweise
deuten auf das Gegenteil, Kinder wurden immer als das Eigentum
ihrer Eltern wahrgenommen, mit denen diese tun und lassen können,
was sie wollen.
AL: Wie kam es dazu, daß Sie Kinder in Fällen von sexuellem Mißbrauch
vertreten?
AV: Ich war Ermittler für die Bundesregierung für Geschlechtskrankheiten.
Mein Job war im Grunde derselbe wie Ihrer, es waren nur andere
Fragen. Meine Fragen waren sowas wie: "Okay Kumpel, Du hast die
Syphilis und ich muß all die Leute finden mit denen Du sexuell
verkehrt hast." Und dann mußte ich diese Leute suchen und sie
dasselbe fragen. Klar? Um die Kette irgendwann mal zu unterbrechen.
Damals hielt ich mich für einen ziemlich zähen Burschen. Ich war
froh, in Puffs, Spelunken und Spielhöllen arbeiten zu können und
es mir dabei gut gehen zu lassen. Mir war nicht klar, daß Leute
Sex mit Babys haben. Und als ich es dann mitkriegte, und ich kam
durch einen ich wollte gerade "Mann" sagen, aber das war
er nicht durch ein männliches Wesen drauf. Er saß mir so
gegenüber wie Sie jetzt, und erzählte mir kichernd, wie er das
Rektum seines Kindes zerrissen hatte, um seinen Spaß zu haben.
Ich dachte, ich hätte den Teufel vor mir. Aber es war gar nicht
der Teufel. Eigentlich war das eine ganz typische Haltung, obwohl
seine Methode sehr extrem war. Seither habe ich nichts anderes
getan, ob das jetzt im Krieg in Biafra war oder bei meiner Arbeit
als Leiter eines Hochsicherheitsgefängnisses. Als ich anfing Jura
zu studieren, tat ich das ausschließlich um Kinder zu vertreten,
und genau das tue ich seither.
AL: Sehen Sie sich als Teil dessen, was Sie schreiben?
AV: Ich bin nicht Raymond Chandler. Das ist meine Arbeit.
Die Bücher sind die organische Erweiterung meiner Arbeit, ich
wünschte, sie wären bloß Fiction.
AL: Warum interessieren Sie sich für Prostituierte?
AV: Woher, glauben Sie, kommen Prostituierte? Halten Sie das
für eine wünschenswerte Karriere? Gehen Sie heute nacht mal auf
Tour und reden Sie mit einigen arbeitenden Mädchen. Was meinen
Sie, wie viele von denen keine Kindheit des Mißbrauchs hinter
sich haben? Glauben Sie, die haben das vom Berufsberater gehört?
AL: Vielleicht zwanzig Prozent.
AV: Das bezweifle ich. Vielleicht wenn Sie die Leiter hochklettern.
Bei den Heidi Fleiss-Frauen finden Sie vielleicht welche, die
das aus persönlichen Gründen zu ihrer Karriere gemacht haben.
Aber die kleinen Mädchen, die um die Ecken schleichen und ihr
Geld irgendeinem Luden abliefern wenn sie das für deren
freie Entscheidung halten, müssen Sie komplett verrückt sein.
Die setzen einen Zyklus fort, sie führen ein Skript aus, das ihnen
als Kindern auf den Leib geschrieben wurde. Da liegt mein Interesse,
wie Sie es bezeichnen. Das Selbstverständnis dieser Menschen ist
durch ihr Vorleben massiv beschädigt, sie wurden ihr Leben lang
auf Schritt und Tritt ausgenutzt, und nichts an ihrer Arbeit erinnert
auch nur im entferntesten an irgendwelchen Glamour.
AL: Nein. Obwohl manche von ihnen sich genau das vormachen.
AV: Selbstverständlich. Und manche Kinder, die Sex mit ihren
Vätern haben, machen sich auch vor, daß es eine Affäre ist. Die
Fähigkeit zum Selbstbetrug ist ein Teil der Überlebensfähigkeit.
AL: Welchen Einfluß möchten Sie auf Ihre Leser haben?
AV: Ich möchte, daß sie wütend sind. Wenn sie das nicht sind,
hat das Buch versagt. Mehr ist da nicht dabei.