Andrew Vachss

von Robert Birnbaum

erschien ursprünglich im Stuff magazine, Juli 1993

Andrew Vachss ist als Bundesermittler für sexuell übertragbare Krankheiten tätig gewesen, er war Sozialarbeiter, hat Arbeitskämpfe begleitet und organisiert und war Leiter eines Hochsicherheitsgefängnisses für jugendliche Straftäter. Heute vertritt er als Anwalt ausschließlich Kinder und Jugendliche und gilt als Experte für Jugendstrafrecht, Kindesmißbrauch und die Psychopathologie von Kriminellen. Außerdem ist er als Sachverständiger bei der Exekutive im ganzen Land heiß begehrt . Seit 1985 hat Vachss sechs "Burke"-Romane veröffentlicht: Flood, Strega, Blue Belle, Hard Candy, Blossom und Sacrifice. Vachss, der im allgemeinen als Mystery oder Krimi-Autor eingeordnet wird, wehrt sich gegen dieses Etikett: "Das einzige Mysterium, das mich interessiert, ist das Mysterium menschlichen Verhaltens. Leser, die es lieben, ein Verbrechen Stück für Stück zu lösen, sollten sich woanders umsehen." Knopf-Chefredakteur Sonny Mehta bezeichnet Vachss als "literarischen Dekonstruktivisten", als einen Schriftsteller, der jedes Genre sprengt. Andrew ist wahrscheinlich der erste investigative Romancier." Shella, sein jüngster, bei Knopf erschienener Roman, zeichnet das Bild eines Auftragskillers, der gerade erst aus dem Gefängnis entlassen wurde. "Ich verstehe dieses Buch als Antidot zu diesem 'Serienmörder-Chic'", sagt Vachss. "Es ist die Geschichte eines Soziopathen, eine Widerlegung der 'Von Geburt Böse'-Theorie der Kriminalität." Vachss's Artikel erschien unter anderem in Parade, Antaeus und der New York Times. Er lebt in New York City.


Warum widmen Sie Shella Doc Pomus und Iceberg Slim?
Doc Pomus war ein sehr, sehr guter Freund. Wir standen uns sehr nahe, und ich finde, diese beiden sind sich auf irgendeine Art ähnlich. Doc ist ein berühmter Songwriter, aber keiner kennt ihn als Sänger. Er war ein wundervoller Sänger. Einer seiner Songs, "Heartlessly" war auf dem besten Weg ein Hit zu werden. So wie er es erzählt hat, hat ihn dann die Plattenfirma gelinkt, also ist er abgehauen und hat sich geschworen "nie mehr zu singen". Er verbrachte den Rest seines Lebens damit, Songs zu schreiben. Er wurde also niemals für sein eigentliches und ganz besonderes Talent bekannt. Wenn Sie fragen: "Kennen Sie das Lied 'Save the Last Dance for Me'?" sagt natürlich jeder ja, aber Doc Pomus kennt keiner. Iceberg Slim ist für jeden, der mal in der Nähe eines Gefängnisses war, selbstverständlich ein Bestsellerautor. Auch Slim war ein guter Freund, auch er ist vor kurzem gestorben. Er leistete vom Ground Zero einen fast journalistischen Beitrag zur amerikanischen Literatur, ein Beitrag, der einmal mehr, nicht wahrgenommen wird. Ich wollte zwei Outlaws anerkennen, denen kaum Aufmerksamkeit zuteil wird. Doc's Musik ist immer noch lebendig. Und die Bücher von Slim ebenfalls.

In einem Interview mit einem der Lifestyle-Magazine, die jetzt anfangen, sich für Sie zu interessieren, sagten Sie, daß ein Großteil Ihrer Stories aus Ihren Akten stammt und daß ein Teil dieser Fakten so unglaublich ist, daß Sie sie in Ihren Geschichten nicht verwenden können.
Ich untertreibe auf jeden Fall. Ganz sicher ist ein Teil meiner Arbeit, die viele Leute so schrecklich finden, abgemildert. Jedes meiner Büer war den journalistischen Reportagen voraus, ich werde jedesmal von allen Seiten kritisiert. Wenn das Pendel dann zurückschwingt, heißt es "Oh Mann, daß hätten wir wissen müssen." Ob das jetzt Kinderporno im Internet ist, oder der Handel mit den Organen von Kindern, oder Pädophile in Tagesstätten oder sechsjährige Mörder. All diese Dinge, die ich in meinen Büchern schildere, wurden, wenn Sie so wollen, später von den Medien bestätigt. Vor dieser Bestätigung aber hat man sich sehr über meine Bücher aufgeregt.

Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Natürlich will niemand wahrhaben, daß da Haie im Swimming-Pool sind. Vielleicht ist es auch mein Stil. Anstatt die Leute vorsichtig an den Horror heranzuführen, neige ich dazu, sie im Genick zu packen und mit der Nase draufzustoßen. Dazu kommt die Verbindung mit meiner eigentlichen Arbeit. Man kann mich nicht als jemanden mit einer düsteren Fantasie abtun, dazu arbeite ich schon zu lange als Anwalt.

Einer meiner Freunde entdeckte vor kurzem, daß er ein Opfer von Kindesmißbrauch ist. Was ihn wirklich ärgert, was ihn wirklich, wirklich wütend macht — als ob er da einen besonderen Grund bräuchte — ist die Aufmerksamkeit, die Widerrufen gewidmet wird. Was denken Sie über die Aufmerksamkeit, die man jenen Leuten widmet, die jetzt sagen: "Naja, ich dachte, ich sei mißbraucht worden, aber da muß ich mich wohl geirrt haben?"
Zum Einen ist die "Falsche-Beschuldigung"-Bewegung sehr gut finanziert. Zum Zweiten handelt es sich hier um eine Wachstumsindustrie. Wenn Sie also einer solchen Sache beschuldigt werden, gibt es sehr, sehr viele Experten , die bereit sind, alle möglichen Phänomene zu attestieren, sei es das Parental-Alienation-Syndrom (Syndrom der Entfremdung von den Eltern) oder das Syndrom der Falschen Erinnerung. Für keins dieser Syndrome gibt es irgendeine wissenschaftliche Grundlage, keines davon hat den geringsten wissenschaftlichen Wert. Aber für die Amerikaner ist es sehr beruhigend zu wissen, daß hier eine Hexenjagd stattfindet. Dabei bemerkt niemand, daß es in Salem gar keine Hexen gab. Heute gibt es Hexen, es gab schon immer Hexen — wir fangen jetzt an, sie zu erkennen — wir würden jetzt gerne hören, daß das alles Unsinn ist und nur in den Köpfen der Kinder rumspukt. Unglücklicherweise sind die Beweise, seien es jetzt Geschlechtskrankheiten, Geständnisse oder Snuff-Filme, so überwältigend, daß niemand das als psychiatrisches Phänomen abtun kann. Die zweite Ebene der Beschwichtigung ist: Man bezeichnet den Kindesmißbrauch als die Wunderwaffe in Sorgerechtsprozessen, oder bezichtigt die Therapeuten der Gehirnwäsche und redet von der Kindesmißbrauchsindustrie. Ich behaupte nicht, daß es sowas wie falsche Anschuldigungen nicht gibt, obwohl ich diese Vorstellung von falscher Erinnerung grundsätzlich bezweifle. Es klingt . . . für mich nicht vernünftig. Aber natürlich gibt es überall falsche Anschuldigungen. Ich habe schon gehört, daß jemand zu Unrecht der Veruntreuung von Bankgeldern beschuldigt wurde.

Das Interessante an dieser Art von Vorwürfen ist, daß sie die Atmosphäre so vergiften, daß die Leute nicht mehr rational denken können. Wenn Sie jemanden für einen Kinderschänder halten, betrachten Sie ihn mit anderen Gefühlen als einen Räuber. Die Leute verstehen gewöhnliche Verbrechen viel eher.
Wissen Sie, mein Freund, da muß ich Ihnen widersprechen. Ich sehe das genaue Gegenteil. In Wirklichkeit will niemand einen bewaffneten Räuber verstehen, jeder wünscht sich, den Inzesttäter zu verstehen. Jeder will den Serienkiller verstehen. Jeder will den Kinderschänder verstehen. Wir verschwenden unser Geld an sie, wir kaufen sogar ihre verdammten Bilder. Wir machen sie zum Thema von Büchern. Sehen Sie, wenn irgendwo ein Mann ein fünfjähriges Mädchen schändet, nennt man ihn einen Perversen und schickt ihn ins Gefängnis. Ganz anders wenn es seine fünfjährige Tochter ist — dann nennt man ihn das Opfer zerrütteter Familienverhältnisse und schickt ihn zu einem Therapeuten. Wir denken nicht mal dreissig Sekunden darüber nach, warum ein Mann stiehlt. Wir verbringen aber sehr viel Zeit damit, darüber nachzudenken, warum ein Mann foltert oder vergewaltigt. Meiner Meinung nach verschwenden wir mehr Fürsorge, Aufmerksamkeit und Verständnis an räuberische Pädophile, als vertretbar.

Es gibt eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, in die ich mich nicht, mich identifizieren oder die ich verstehen kann. Also beginne ich mit der Frage: Kann ich, bin ich fähig, halte ich mich für fähig, so etwas zu tun? Kann ich mir vorstellen, es zu tun?
Da haben Sie den Schlüssel doch schon in Ihrer Hand. Wenn Sie sich nicht vorstellen können, das zu tun, besteht für Sie auch keine Gefahr, es zu tun. Lassen Sie mich das erklären. Wissen Sie, was das DSM ist? Das Diagnostische und Statistische Handbuch der Vereinigung Amerikanischer Psychiater. Es ist sowas wie das Wörterbuch für psychiatrische Störungen. Das Buch ist im Grunde ein politisches Dokument. Es dokumentiert verschiedene Traditionen. Also, das DSM führte vor Jahren Homosexualität als Störung auf. Das tut es heute nicht mehr, erwähnt aber es gibt immer noch das Konzept der dystonischen Homosexualität, also einen Menschen, der homosexuell ist, es aber nicht sein will. Okay? Niemand hat je einen dystonischen Pädophilen diagnostiziert. Diese Leute sind völlig einverstanden mit dem, was sie tun. Sie werden mir keinen zeigen können, der je freiwillig um Behandlung gebeten hätte. Ich weiß nicht wie viel Dutzend von denen ich interviewt habe; ihre Einstellung ist, wenn man sie nur verstünde, würde man sie verehren und schätzen, statt sie zu verachten, oder ihnen etwas antun zu wollen. Sie sind nicht an unsere proletarischen Regeln gebunden. In Wirklichkeit ist nicht ihr Verhalten falsch , sondern das Gesetz. So wie sie das darstellen, hat es schon fast was von Nietzsche. Sie wollen nicht unser Verständnis, um geheilt zu werden — hinter ihren Soziopathen-Masken lachen sie über unsere jämmerlichen Versuche, sie zu verstehen. Sie selbst verstehen sich sehr gut. Eigentlich sind wir wie eine Herde Schafe, die sagt: "Was um alles in der Welt stimmt nur mit diesen Wölfen nicht? Was für ein Geisteszustand läßt sie diese Dinge tun? Vielleicht sollten wir einfach mal mit ihnen reden!"

Ist der sexuelle Mißbrauch von Kindern vorrangig ein Problem der Industriegesellschaften? Oder ist er eine Gefahr, die in jeder Kultur besteht?
Meine Bücher sind in siebzehn Sprachen erhältlich. Ich bekomme Briefe aus allen möglichen Ländern. Wenn man die übersetzte, könnten sie ebenso gut aus Topeka in Kansas stammen. Es ist ein Teil menschlichen Verhaltens. Ich glaube überhaupt nicht, daß es etwas mit der Kultur zu tun hat. Es ist etwas Menschliches. Schon die Bibel redet vom Inzest.

Warum haben Sie nicht noch ein Burke-Buch geschrieben?
Ich wollte ein neues Gebiet erforschen. Ich wollte wirklich eine Liebesgeschichte schreiben, über einen Soziopathen schreiben, der auf sich unterschwellig bewußt ist, daß er ein Soziopath ist, daß ihm etwas fehlt, eine Geschichte über seine Sehnsucht nach diesem Fehlenden. Das hätte ich mit den Burke- Büchern nicht machen können, weil die ganz anders klingen und weil die Leser von diesen Charakteren ganz bestimmte Vorstellungen haben. Die Burke-Romane, die manche Leute für sehr düster halten, sind, verglichen damit, Rebecca von der Sunnybrook Farm. Diese Grenze wollte ich überschreiten.

Ich halte diese Gestalt für sehr erstaunlich und fesselnd.
Er ist nicht wirklich eine Person, sondern ein erschaffenes Monster, was ihm in den Jugendanstalten zustieß, war nur der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Er verbrachte seine gesamte Jugend damit, sich auf genau den Augenblick vorzubereiten, an dem sie die Batterien in sein Radio packen. Er ist überaus gefährlich, trotzdem gibt es bei ihm keine Spur von Sadismus. Es macht ihm keinen Spaß, Leuten weh zu tun. Er ist auch nicht sexuell gestört. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes kriterienlos. Alles was er will ist, seinen Talisman zu finden, und dafür ist er zu allem bereit. Er weiß, daß er ohne Shella [die Figur, nach der der Roman benannt ist] keine Chance hat, ein echter Mensch zu sein. Um sie zu finden, würde er alles tun.

Ich meine, man muß doch einfach seinen Mangel an ausbeuterischen Tendenzen und seinen Anstand bewundern.
Er würde jeden töten, der sich zwischen ihn und Shella stellt. Er ist dazu in der Lage, er weiß, daß er dazu in der Lage ist, ein Mensch zu sein. Er weiß, daß er dazu in der Lage ist, aber er glaubt nicht, daß das geschehen kann ohne diese Verbindung zu Shella. Er ist in gewisser Weise anständig, kein Unsere kleine Farm-Anstand, aber er hat Anstand. Diese Anständigkeit ist allerdings eine amoralische. Das heißt, ohne eine Rechtfertigung würde er niemandem etwas antun, aber, seine Art von Rechtfertigung vorausgesetzt, gibt es nichts, was er nicht tun würde.

Das heißt, selbst ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben.
Oh ja. Für ihn ist klar, daß er ohne Shella sowieso nicht überleben kann. Dieser Typ ist kein Überlebensexperte. Er ist auch kein Kampfkünstler. Er ist dissoziativ, verläßt völlig seinen Körper. Das ganze Trauma, der ganze Schmerz, all die Furcht aus der Vergangenheit verschafft ihm Adrenalinschübe und verdoppelt seine Kraft. Wer mit gewalttätigen Menschen arbeitet, kennt das.

War er [die Hauptfigur] Ghost schon im Jugendheim?
Nein, er war niemand. Sogar sein Name, John Smith, war nichts anderes als ein Wortspiel.

Ist es eine besonders clevere Art, jemanden zu töten, indem man ihm mit Batterien gefüllte Socken überzieht?
Ich weiß nicht, ob das besonders clever ist, aber es funktioniert. Außerdem ist es in den Heimen und Gefängnissen üblich. Man nennt es batterypacking. Ja, klar "Verpaß dem Hurensohn ein Battery-Pack." So geht's. Klar.

Ich will jetzt nicht wie Barbara Walters klingen, aber sind Sie noch in der Lage, der Welt gegenüber eine optimistische Grundhaltung zu bewahren?
Nein. Ich kann aber eine kämpferische Grundhaltung bewahren. Ich behalte meine Einstellung, daß ich mich im Krieg befinde, egal wie lange er dauert, daß ich nicht mehr da sein werde, wenn wir ihn gewinnen. Aber ich werde meinen Teil dazu beigetragen haben. Aber optimistisch, nein. Deprimiert auch nicht, oder zynisch. Ich versuche nur, ein kampfbereiter Hardcore-Realist zu sein. Ich kann in einem Jahr mehr Kinder retten als ein Unfallchirurg, aber das Problem Kindesmißbrauch ist zu gewaltig, das kann ich nicht lösen. Die Bücher sind meine Art, eine riesige Jury anzusprechen, die ich niemals im Gerichtssaal sehen werde.

Sie wurden einmal zitiert: Wut sei der Katalysator, der die Dinge ins Rollen bringt — sonst würden die Leute einfach auf einen anderen Kanal zappen. Ich frage mich sogar, ob Wut heutzutage noch reicht, um die Menschen zu bewegen.
Ich kann nicht für die Menschen im allgemeinen sprechen. Für mich hat die Wut genügt, aber ich denke der Trick ist, die Wut mit den Eigeninteressen der Leute zu verbinden. Und ich meine, hier versagen die Liberalen. Sie versagen völlig. Wenn Sie sagen, es ist schlecht, Kinder zu verletzen, erreichen Sie X Menschen. Wenn Sie aber sagen, das Opfer von heute ist der Täter von morgen, dann erreichen Sie x hoch drei Menschen, genau das ist mein Vorgehen. Ich denke, wir können beweisen, daß wir unsere eigenen Monster bauen, unsere eigenen Bestien züchten. Sie sind keine genetischen Mutationen, nicht das Ergebnis der Kultur oder des Niedergangs der Familie. Sie sind keine Opfer der Wirtschaft. Eines der Themen in diesem Buch ist, daß der schwule Murray [einer der Figuren] so verzweifelt zur Bruderschaft [einer paramilitärischen, rassistischen Skinhead-Organisation] gehören will, daß er dafür in die Tiefen der Hölle gehen würde. Das ist ein menschliches Bedürfnis, das wir ignorieren. Wir ignorieren es einfach. Die Folge sind diese Armeen hirntoter Roboter, die rumlaufen und mit ihren Baseball-Schlägern Vietnamesen verprügeln. Das muß nicht sein. Und wir müssen auch keine Kult- und Gangmitglieder untersuchen wie Insekten in einem Glaskasten. Die könnten legal und für eine andere Sache kämpfen. Es ist nichts Genetisches, was sie zu Rassisten macht.

Waren Sie vorher mit Ihren Büchern auf Lesereise?
Noch nie. Ich mach das zum ersten Mal. Ich bin viel, sehr viel als Redner und als Anwalt unterwegs. Mein Verleger sagte zu mir: "Du kannst doch nicht eine Gelegenheit nach der anderen verpassen! Du bist bei Oprah und erwähnst nicht einmal, daß Du ein Buch geschrieben hast, Du trittst bei Larry King und bei Good Morning, America auf. Und jedesmal beißt du dich an dem Zeug fest, über das du reden willst." Diesmal muß ich also aus dem verdammten Buch lesen. Einmal hab ich's schon getan. Die sind fest — beinahe schmerzhaft —entschlossen, daß...naja, Sie wissen schon: "Sie werden über Bücher reden. Sie werden über Literatur reden. Sie sind Schriftsteller, wir lassen uns von Ihnen nicht mehr benutzen." Ich kann das verstehen.

Kennen Sie Sonny schon lange?
Sonny Mehta? Natürlich. Wir haben eine lange Geschichte. Er war mein allererster Auslandsverleger.

Haben Sie den Artikel über ihn im Esquire gelesen?
Ja, hab ich. Ich kenne einen anderen Sonny Mehta als den, über den die da berichten. Ich kenne einen Sonny Mehta, der zu mir stand. Ich sag Ihnen was: meine Bücher sind nicht unumstritten. Ich habe einflußreiche Gegner in diesem Geschäft. Verschiedene Zeitungen erlauben keine Kritiken meiner Bücher. Und die geben das ganz offen zu. Da ist viel Unsinn gelaufen. Aber Sonny hat die ganze Zeit zu mir gehalten. Er glaubt an meine Arbeit und ist bereit, sie zu unterstützen. Den Kerl, über den die reden, kenne ich nicht.

Haben Sie einen Agenten?
Ich habe jetzt einen Agenten, weil ich mit Filmen zu tun habe, mit Kurzgeschichten-Sammlungen und mit meinem Kinderbuch für Erwachsene. Und meine Frau hat ein Buch geschrieben, das im Juni erscheinen wird. Ein Sachbuch über die Strafverfolgung von Sexualverbechen. All das zusammen wurde einfach unmöglich. Aber mein Agent verkauft nicht in meinem Namen, und er geht auch nicht mit meinen Manuskripten hausieren. Es ist klar, daß Sonny mein Verleger ist.

Haben Sie einen Plan für das nächste Jahr, oder die nächsten fünf Jahre?
Ja, ich habe einen Beruf, der mit dem Schreiben nichts zu tun hat. Ich werde weiterhin an meinen Fällen arbeiten, ich werde weiterhin Nachforschungen anstellen müssen und ich werde weiterhin Vorträge halten, ausbilden und beraten. Ich werde weiterhin versuchen, Fortbildungsprogramme für die juristische und die medizinische Fakultät zusammenzustellen, um Anwälte auf ihre Aufgaben vorzubereiten.

Fällt es Ihnen schwer, diese Stories zu schreiben?
Nein, nein. Ich bin ein sehr diszipinierter Mensch. Ich kann diese Sachen erzählen, aber es tut mir weh, diese Gefühle zu empfinden. Dieses Material ist mir sehr nahe.

In der Burke-Reihe haben Sie einige Elemente verarbeitet, die die düstere Atmosphäre mildern. Sie haben eine alternative Vorstellung von Familie entwickelt.
Ganz genau. Eine Wahlfamilie. Ich selbst habe eine solche Familie, ich kenne selbst solche Leute; es gibt da ein Gefühl von Einigkeit und Sinnhaftigkeit, eine Art Sicherheitsnetz in der Gruppe. Shella ist ganz anders. Shella zu schreiben war für mich etwas völlig anderes, ich mußte dabei sehr viel weiter gehen. In diesem Buch wollte ich in keiner Weise etwas abmildern; ich denke, das ist mir auch gelungen. Aber Sie haben recht, die Burke-Romane sind ganz anders. Dafür gibt es einen Markt, die kann man gut verkaufen. Dies hier ist eine andere Geschichte.

Lesen Sie andere — wie soll ich sagen — Krimiautoren?
Ich nenne sie nicht Krimiautoren, weil das für mich nach Agatha Christie klingt. Meine Favoriten sind Leute wie Eugene Izzy, James Colbert, Joe Lansdale, Chet Williamson, Neal Barrett, Jr. usw.

Ich kenne keinen einzigen.
Natürlich nicht, das ist es ja, was mich wütend macht, aus diesem Grund habe ich Doc Pomus und Iceberg Slim ja auch ein Buch gewidmet, aber diese Schriftsteller leben alle noch. Ich mag Robert Stone sehr, Alice Hoffman, und ich bin verrückt nach Gerald Kersh. Ich mag Leute wie z.B. Paul Cain. Wenn es um moderne Autoren geht, finde ich Leute wie die genannten unglaublich talentiert und begabt. Leider erhalten sie viel zu wenig Aufmerksamkeit; die geht an, meiner Ansicht, kleinere Lichter.

Hat sich die Qualität der Bücher im Krimi-Genre verbessert?
Naja, das ist das Problem. Es gibt so viele Chandler-Clones. Wieviele Bücher kann man denn schreiben über "Ich saß in meinem Büro, die Füße auf dem Schreibtisch und fragte mich gerade, wie ich die Miete bezahlen sollte. Die Flasche Jim Beam in der Schublade und die .38er in meinem Schoß verschfften mir einen geringen Trost, als plötzlich diese Blondine mit den unglaublichen Brüsten reinkam . . ." Kommen Sie! Wer braucht denn sowas? Das ist dieses recycelte Zeug, das Sie überall finden. Ein weiterer Grund für Shella ist, als ich begann, mit Flood, schrieb niemand über Kindesmißbrauch. Jetzt ist es der Plot der Neunziger. Ich meine, sie finden keinen Krimi mehr, der ohne irgendeinen Bezug darauf wäre. Ich bin also ein gutes Stück weiter als am Anfang, das war meine Absicht.

Wie denken Sie über Ihren Platz in der Literaturwelt?
Weil ich ein paar Literaturpreise gewonnen habe, hat mich mal jemand gefragt: "Was halten Sie von Danielle Steel?" oder sowas in der Art. Ich sagte: "Hören Sie, ich stelle mich nicht auf eine Stufe mit irgendwelchen großen Autoren, aber ich halte von ihr ungefähr so viel wie John Lee Hooker von Vanilla Ice halten würde." Weil der Test, den es hier zu bestehen gilt, die Zeit ist; der Test findet in fünfzig Jahren statt: Wer wird die Bücher lesen? Werden die Leute modischen Kram lesen, oder wirkliche Literatur? Das Wunderbare an Knopf (dem Verlag) ist, daß sie das wirklich verstehen.

Meinen Sie, Sonny hält Damage wirklich für großartig?
Kein Kommentar. Aber ich denke, Sonny wird unfair beurteilt, wenn die Leute ihn als Unternehmer bezeichnen. Sein Unternehmergeist macht es ihm möglich, Risiken einzugehen. Er erhält keine Anerkennung dafür, daß er Leute veröffentlicht, die sonst keiner anrühren würde. Er erhält keine Anerkennnung dafür, daß er Risiken eingeht. Diese Leute sagen: "Es ist so geschmacklos, wie er nur ans Geld denkt." Leck mich am Arsch! In Wahrheit ermöglicht das Geld, das er für den Verlag macht, diese Dinge doch erst. Wenn er ein Buch ansehen und sagen kann: "Okay, das hier ist nicht die große amerikanische Literatur, aber es hat kommerziellen Wert.", warum sollte man ihn deshalb so verdammen? Ich bevorzuge einen offenen Markt. Von mir aus soll jeder, der sich für einen Schriftsteller hält, veröffentlichen. Von mir aus soll jedes Buch, das erscheint, vertrieben werden. Ich würde diesen Buchkritiken-Unsinn stoppen, stattdessen sollten Rezensionen ehrlich sein, so wie ich das mache. Bestimmte Sachen mag ich nicht, also schreibe ich keine Rezension. Wenn ich eine Abneigung gegen Chandler-Clones habe, werden Sie nicht erleben, daß ich so ein Buch bespreche.

Meinen Sie, daß Sie ein Werk erschaffen werden, das in irgendeiner Weise vollständig sein wird?
Ich glaube nicht, weil ich ja wirklich immer arbeite. Ich habe jetzt einige Foren, wie z.B. das Journal of Psychohistory oder das Parade-Magazin. Ich versuche eher Einfluß auszuüben und Ergebnisse zu erreichen, als einfach nur den Leuten irgend etwas einhämmern. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, nur einen Wunsch, dann wäre das, mit meinen Büchern fertig zu sein. Das wär's. Das wäre perfekt. Ich wüßte eine Menge Dinge für dieses perfekte Leben, z.B. hinter Blondinen herjagen, auf die Rennbahn gehen, Kartenspielen, Billiard... Aber ich habe mir eine Arbeit ausgesucht, die nie getan ist. Und heute ist es eher so, daß mich das Pferd reitet als umgekehr
t.

 


VACHSS     BIO     PROSA     ARTIKEL     INTERVIEWS     FAQ     UPDATES/NEWSLETTER
MISSION    DOWNLOADS    GALERIE    HUNDE    EISGOTT    RESSOURCEN

Suche auf The Zero || Technik || Verlinken || Email an The Zero || Startseite

The Zero © 2000-2004 Andrew Vachss. Alle Rechte vorbehalten.