Serie: Schriftsteller von heute

Ein Interview mit Andrew Vachss

von John Porter


BILDRECHTE: ChoiceofEvil.com

Andrew Vachss, ist Autor von elf Romanen, zwei Kurzgeschichtensammlungen, drei Comic-Serien und von Mit jedem Kind wird die Welt neu geboren: Ein Kinderbuch für Erwachsene (vergriffen). Er schrieb unter anderem die Krimis Choice of Evil, Everybody Pays and Verdacht. Außer seiner Tätigkeit als Dozent und Schriftsteller betreibt er eine Anwaltskanzlei, in der er ausschließlich Kinder und Jugendliche vertritt. Er lebt in New York City.
 

WAG: Sie schreiben seit nun beinahe zwanzig Jahren Ihre Burke-Krimis. Wie halten Sie dieses Thema lebendig?

Vachss: Naja, wäre ich ein etwas konventioneller Schriftsteller, wäre ich vermutlich schon vor fünfzehn Büchern ausgebrannt gewesen. Weil aber das Material aus meinem Alltag stammt und so reichlich ist, habe ich vermutlich noch genug, um weitere fünfzig Bücher zu schreiben — Wenn ich lang genug lebe, um sie zu schreiben.

WAG: Ich weiß, daß eine ganze Menge Leute nur zu bereit wären, die alle zu lesen.

Vachss: Wissen Sie was? Mir wäre es lieber, wenn diese Quelle versiegte. Mir wäre es lieber, wenn die Freaks mich nicht mehr überraschten. Mir wäre es lieber, wenn es keine neuen, noch häßlicheren Arten, Menschen zu mißhandeln, gäbe. Ich hätte lieber gar kein Material. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wären alle diese Bücher nur ein Produkt meiner Phantasie.

WAG: Wird Ihre Rolle als Schriftsteller durch Ihre eigenen Erfahrungen erschwert?

Vachss: Ich betrachte mich sebst weniger als Schriftsteller, denn als Journalisten. Ich benutze diese fiktionale Form, weil ich in meinen Romanen eine Vielzahl wichtiger, brandneuer wissenschaftlicher Erkenntnisse verarbeite. Wenn ich ein Sachbuch über die Traumaforschung in Bezug auf die Hirnentwicklung schriebe, wieviele Leute würden das wohl lesen?

WAG: Ungefähr sechs.

Vachss: Wenn ich meinen Job anständig gemacht habe, werden Sie, wenn Sie dieses Zeug in meinem Buch lesen, ausreichend motiviert sein, um wissen zu wollen, wie sich alles auflöst. Es ist Teil des Krimis, also werden Sie es lesen.

WAG: Zum Namen Burke: es gab mal einen englischen Kriminellen--

Vachss: Genau. Burke war ein Grabräuber im alten England.

WAG: Er versorgte Medizinstudenten mit Leichen.

Vachss: Und als die Gräber alle leer waren und man ihm mehr Geld für frischere Leichen anbot, fing er an, selbst welche zu produzieren. 'To burke' hieß zu dieser Zeit in England, jemanden zu erwürgen, ohne Spuren zu hinterlassen--man wußte überhaupt nicht, wie einem geschah. Weil all diese Romane Trojanische Pferde sind, habe ich diesen Namen ausgewählt.

WAG: Abgesehen davon, daß Sie die Burke-Romane und die Comics schreiben, sind Sie ein erfolgreicher Anwalt, der in New York jedes Jahr Hunderte von Kindern vertritt.

Vachss: Ja, ich arbeite Vollzeit in meiner Anwaltskanzlei. Und außerdem arbeite ich — zumindest zeitweise — als Berater und Ausbilder. Ich halte Reden, und ich schreibe die Bücher. Aber letztendlich ist das alles die selbe Arbeit, nur in unterschiedlichen Formen.

WAG: Aber Sie haben mit den Burke-Romanen mehr Menschen erreicht, als Ihnen das als Sachbuchautor jemals gelungen wäre.

Vachss: Das ist wahr -- weil es dafür kein Publikum gibt. Die Leute müssen die Bücher lesen und mit anderen Menschen darüber reden. Die Wahrheit ist: die amerikanische Öffentlichkeit informieren zu wollen, ist eine verdammte Zeitverschwendung. Dieser Unsinn über 'Bewußtseinsbildung' ist der Hammer. Er basiert auf der Annahme, daß a) die Leute ein Problembewußtsein haben und b) daß sie etwas unternehmen würden, wäre dieses Problembewußtsein geschärft. Mangelnde persönliche Betroffenheit sorgt hier dafür, daß nichts geschieht.

WAG: Meinen Sie, die Leute, die ein Problembewußtsein entwickeln, wären ohnehin auf dem Weg gewesen, sich diese Dinge bewußt zu machen?

Vachss: Ehrlich gesagt, verstehe ich den Sinn nicht. Wie viel Bewußtseinsbildung brauchen wir denn? Sie glauben nicht, daß Menschen Jagd auf andere Menschen machen? Sie glauben nicht, daß Menschen ihre eigenen Kinder vergewaltigen? Sie glauben nicht, ...was? Ich meine, wie sehr soll Ihr Problembewußtsein noch wachsen?

WAG: Mich überraschen die Leute, die das einfach ignorieren, die meinen, ihnen könnte sowas niemals passieren.

Vachss: Ich bevorzuge den Ausdruck 'Kollaborateur.'

WAG: 'Kollaborateur' ist ein guter Begriff. Er erinnert mich an die Leute, die in Kriegszeiten kollaborieren, einfach indem sie wegschauen.

Vachss: Sie schließen sich nicht dem Widerstand an. Man kann das nicht anders ausdrücken.

WAG: Die Wahlfamilie: in all Ihren Büchern ist das ein wichtiger Unterton. Burke wurde vom Staat aufgezogen, für seine leiblichen Eltern fühlt er nichts als Verachtung.

Vachss: Auf seiner Geburtsurkunde steht einfach 'Baby boy Burke.' Er weiß, daß seine Mutter eine minderjährige Prostituierte war -- das ist zumindest das, was man ihm erzählt hat. Er hat beide niemals gesehen.

WAG: Und er will es auch nicht. Aber er hat sich eine eigene, groß Familie ausgesucht.

Vachss: Keine 'große' Familie. Das sind seine engsten Verwandten. Keine Tanten oder Onkel, sondern seine Brüder und Schwestern. So nah, wie man sich nur vorstellen kann.

WAG: Auch die Nazis in den Burke-Romanen bilden ihre eigenen Familien. Glauben Sie, daß das heute so geschieht? Werden wir in Zukunft unsere eigenen Ersatz-Familien haben?

Vachss: Ich glaube , daß wir diese verdammten Familien, von denen jeder denkt, es habe sie mal gegeben, niemals hatten. Ich glaube, dafür müssen die Journalisten die Verantwortung übernehmen. In Wahrheit sieht es doch so aus: Wenn Sie eine Zeitung -- irgendeine Zeitung -- aus den fünfziger Jahren aufschlagen und von vorne bis hinten lesen und ein Alien von einem anderen Planeten wären, müßten Sie zu dem Schluß kommen, daß es in den Vereinigten Staaten von Amerika keinen Kindesmißbrauch gab.

 

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WAG: Ganz sicher wurde nicht darüber berichtet.

Vachss: Richtig -- das meine ich ja. 'Worüber niemals berichtet wurde' bedeutet nicht 'was niemals existiert hat'. Ich weiß nichts von umwälzenden Veränderungen, und ich kann es nicht mehr hören, daß die "Zerstörung der Familie" schuld sein soll an allen sozialen Mißständen. Soweit ich das beurteilen kann, ist das Einzige, was zerstört wird, unser biologischer Imperativ -- wir sind das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, das ungeschützte Aufzucht toleriert, und das es erlaubt, Artgenossen anzugreifen.

WAG: Was können wir tun?

Vachss: Ganz einfach: Uns konzentrieren. Die Leute, die sich um die richtigen Sachen kümmern, neigen oft dazu, sich in viel zu vielen Bereichen zu engagieren. Sehen Sie sich die NRA (National Rifle Association) an -- worum kümmern die sich?

WAG: Um Waffen.

Vachss: Fällt Ihnen noch irgend etwas anderes ein?

WAG: Nein, gar nichts.

Vachss: Richtig. Daher sind die sehr effektiv. Kratzen Sie mal an Ihrem typischen -- ich weiß nicht, wie Sie sie nennen wollen -- Liberalen oder Gutmenschen: er macht sich um die Wale Sorgen, um die Bäume und die Kinder, er sorgt sich um Umweltverschmutzung und so weiter und so fort. Ihre ganze Energie wird auf diese Weise verschwendet. Das ist, als ob man ein Stück Butter auf eine fünf Meter lange Brotscheibe streicht und dann sagt: "Ich kann gar nichts von der Butter schmecken."

WAG: Warum sind wir als Nation so besessen von Serienmördern?

Vachss: Weil wir eine Nation sind, die die Macht anbetet.

WAG: Und der Serienmörder repräsentiert die absolute Macht?

Vachss: Er nimmt Leben. Wenn Sie objektiv sind, werden Sie natürlich feststellen, daß dieses Land nicht von allen Serienmördern besessen ist -- sondern nur von denjenigen, die so geschmackvoll sind, junge Frauen zu töten. Sehen Sie sich Bücher über Serienmörder an. Vergleichen Sie John Wayne Gacy mit Ted Bundy. Bundy verkauft sich hundertmal besser als John Wayne Gacy. Warum? Weil er ein größeres Monster ist? Ganz bestimmt nicht. Weil er interessanter ist? Nein. Er tötete junge Frauen. Wenn Sie in einen dieser miesen Läden gehen, die sich Buchhandlungen nennen, werden Sie alle möglichen Bücher finden über die Freude, Frauen zu foltern. Aber Sie werden nicht viele finden, in denen Männer gefoltert werden. Deswegen richtet sich die Faszination für Serienmörder eher auf einen Richard Ramirez oder einen Ken Bianchi als auf einen John Wayne Gacy.

WAG: Ich erinnere mich, als ich aufwuchs, las ich diese True-Crime-Bücher über verschiedene Aspekte der Strafverfolgung. Es gab da Leute wie Rob Nash, der Bücher darüber schrieb, ob Dillinger tatsächlich vom FBI getötet wurde.

Vachss: Ich würde mit Nein stimmen. Da gebe ich Ihnen recht.

WAG: Nachdem ich seine Beweisführung gelesen hatte, mußte ich das auch tun. Seine Nachforschungen waren sehr gründlich und detailliert. Wenn ich heute in die True-Crime Abteilung einer Buchhandlung gehe, sehe ich nur noch dieses Zeug, das aussieht, als wäre es aus verschiedenen Ausgaben des Tattler-Magazine zusammengestoppelt und zusammen mit den reißerischsten Fotos, die man sich vorstellen kann, auf ein Blatt Papier geklebt worden.

Vachss: Wenn Sie hochklassige True Crime lesen wollen, müssen Sie Jack Olson lesen. Er ist hervorragend. Außerdem ist er ein echter Journalist, denn für ihn gibt es nur einen Gott, und das ist die Wahrheit. Viel von diesem Zeug ist einfach Porno, der sich als True Crime ausgibt. Sogar im Journalismus wird dieser Stoff so behandelt: Wenn Sie lesen, wie Journalisten dieses Thema behandeln: da steht dann, das Vergewaltigungsopfer sei eine 'attraktive' Blondine -- als ob das irgendetwas mit dem Verbrechen zu tun hätte. Von männlichen Opfern heißt es nie, daß sie besonders gutaussehend gewesen seien. In den Medien gibt es sehr viele Vorurteile. Wenn ein Mann einen fünfjährigen Jungen mißbraucht, berichten die Medien von 'homosexuellem' Kindesmißbrauch. Wenn es aber ein fünfjähriges Mädchen war, sprechen die Medien nicht von 'heterosexuellem' Kindesmißbrauch. Und tatsächlich haben Sie in diesem Land sehr viel größere Chancen, davonzukommen, wenn Sie ein kleines Mädchen mißhandeln.

WAG: Wir wissen, wie man ein Monster erschafft. Wie kann man diesen Prozeß umkehren?

Vachss: Ich weiß nicht, ob wir das können. Vielleicht können wir diesen Prozeß aber unterbrechen. Wenn wir nur einen kleinen Prozentsatz des Geldes, das wir für Scheiße ausgeben -- geben Sie mir das Geld, das Kenneth Starr ausgegeben hat -- und ich erspare diesem Land Tausend bösartige Soziopathen durch frühzeitige Intervention. Wenn die Würfel aber mal gefallen sind...glauben Sie, man könnte Ted Bundy mit einer Therapie helfen? Ich nicht.

WAG: Was wäre die beste Lösung? Sie von der Herde zu trennen?

Vachss: Wenn sie erst einmal identifiziert sind, darf man ihnen nicht mehr erlauben, unter uns zu sein. Man kann sich meinetwegen endlos über die Todesstrafe und solche Dinge streiten. Ich persönlich halte sie für falsch. Ich glaube an lebenslanges Wegsperren. Diese Leute sollten nie wieder unter uns sein.

WAG: Kann man sie durch weitere Forschungen leichter identifizieren?

Vachss: Das ist etwas, woran wir mal geglaubt haben -- daß wir etwas lernen könnten, wenn wir solche Leute isolieren und beobachten. Aber ich denke, sie haben uns alles gelehrt. Ich glaube nicht, daß wir noch irgendetwas Neues lernen können. Und ich denke, sie genießen das, in Gruppen zu sitzen und ihre Verbrechen zu rekapitulieren. Das erregt sie höllisch. In Wahrheit wissen wir -- wir wissen -- daß chronischer, früher Mißbrauch und Vernachlässigung (inklusive emotionellem Mißbrauch) diesen Zweig beugt. Und wenn dieser Zweig nicht gerichtet wird, solange er noch flexibel ist, dann wird er krumm. Bedeutet das, daß dieser Mensch ein Sexualmörder wird? Nein, aber er wird ein Mensch ohne Gewissen werden. Eine solche Person kann ein sehr erfolgreicher Politiker oder Prediger werden, aber wenn diese Person beschließt, daß sie zu ihrer Befriedigung die Folter anderer benötigt, gibt es dagegen nicht den geringsten Schutz. Solche Leute werden das einfach tun.

WAG: Halten Sie es für möglich, den Trend zur Gewalt zu bremsen?

Vachss: Ich denke sogar, daß es möglich ist, ihn umzukehren. Wenn wir erstmal damit beginnen, die Dinge beim Namen zu nennen, wenn wir erstmal beginnen, Familie funktionell und nicht biologisch zu definieren... Die Wahrheit ist: Wenn Sie als Kind keine Gelegenheit hatten, Bindungen einzugehen und diese Gelegenheit später bekommen -- fragen Sie eine Hure oder ein Mitglied einer Rocker-Gang -- dann werden Sie diese Gelegenheit vielleicht leidenschaftlicher wahrnehmen, als Sie das beim natürlichen Lauf der Dinge getan haben würden. Es gibt eine riesige Armee sehr anfälliger junger Menschen, die zu jeder Trommel marschieren, die sie hören. Es war immer meine Überzeugung, daß die Mehrheit der Skinheads für die richtige Sache kämpfen würden, wenn man sich ihnen auf andere Weise genähert hätte. Ich glaube nicht, daß es für ihre verrückte und rassistische Dummheit eine biologische Disposition gibt. Ich denke eher, daß sie dem einzigen Club beitreten, der sie aufnimmt.

WAG: Niemand war bisher in der Lage zu beweisen, daß ein bestimmtes Gen für Gewalttätigkeit verantwortlich ist.

Vachss: Der letzte, der das behauptet hat, war, soweit ich weiß, dieser Kerl namens Hitler.

WAG: Ja. Damals gab es auch einen Riesenspektakel deswegen.

 

  Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Website von The WAG : http://thewag.net/vachss.htm.

 


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