IM GESPRÄCH MIT. . . ANDREW VACHSS

 

Seine Prosa ist karg, aber vollmundig und oftmals blutrünstig. Der Name des (Anti-)Helden, der seine Romane vorantreibt, ist Burke - ein Mann, der so ziemlich alles gesehen hat und der einige Dinge getan hat, die einen durchaus nachdenklich stimmen können. Aber dieser Burke ist ein guter Junge -- er ist schwierig, er hat seine Fehler, aber er trägt das Herz am rechten Fleck... obwohl er das mit dem Herz natürlich niemals zugeben würde. Burke ist die Schöpfung von Andrew Vachss.

Andrew Vachss. Sodomiten. Kinderschänder. Ausreißer, die zu Nutten werden, Kinder, die viel zu schnell erwachsen werden müssen. Mörder. Er weiß, worüber er da schreibt. Solche Leute kennt man, wenn man schon als Bundesermittler für Geschlechtskrankheiten, Direktor eines Hochsicherheitsgefängnisses für jugendliche Straftäter und als Sozialarbeiter gearbeitet hat. Manche Kritiker fragen sich, ob Burke Vachss' Alter-Ego ist. Vielleicht ist er das. Vielleicht auch nicht.

In seinem neuesten Roman, Choice of Evil, sucht Burke einen Serienkiller, der Gay Bashers (etwa "Schwulenklatscher") ermordet. In Burkes Welt gibt es keine Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß -- dort ist alles grau, aber kristallklar.

ANDREW VACHSS (AV): Andrew Vachss.

PAMELA'S FILM AND ENTERTAINMENT SITE (PV): Sind Sie bereit für das Interview?

AV: Ja. Tut mir leid, daß der Termin geändert werden mußte. Alles wurde so ca. fünfzehn mal geändert.

PV: Kein Problem. Ganz offen gesagt — bitte verstehen Sie mich nicht falsch — ich wäre wahrscheinlich eingeschüchtert gewesen, wenn wir uns gegenübergesessen hätten.

AV: Ich hoffe nicht, aber andere Leute haben das auch schon gesagt, also muß ich wohl damit leben.

PV: Ich wollte Sie nicht beleidigen

AV: Nein, ich bin nicht beleidigt. Ich will nicht rumlaufen und Leute einschüchtern, die nicht zu meinen Feinden gehören. (leises Lachen)

PV: Also nur die Feinde?

AV: Ja, klar. Absolut.

PV: Ich habe gehört, daß Choice of Evil verfilmt werden soll. Was haben Sie dabei für ein Gefühl?

AV: Ich freue mich über das Geld. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen, weil ich nicht über die Pläne anderer Leute reden kann.

PV: Wurden Sie gebeten, daß Drehbuch selbst zu schreiben?

AV: Nö.

PV: Wäre Ihnen das lieber?

AV: (Pause) Ich würde es nur dann selber machen, wenn der Film auch tatsächlich nach diesem Drehbuch entstünde. Ich möchte nicht nur wegen des Geldes Arbeit in eine zwecklose Übung investieren.

PV: Ich habe Berichte über Studios gelesen, die am Erwerb der Filmrechte Ihrer Bücher interessiert sind . . .

AV: Diese Berichte sind nicht wahr. Ich weiß nicht, wie diese Gerüchte entstehen, aber . . . Ich habe keine Filmrechte mehr verkauft seit, meine Güte, seit mehr als zehn Jahren.

PV: Mich irritiert etwas. Ich habe gelesen, daß Sie in Ihrer Arbeit die Fakten abschwächen, so daß sie immer noch schockierend sind, aber nicht so schockierend wie die tatsächlichen Ereignisse oder Personen, auf denen sie basieren.

AV: Das stimmt.

PV: Ich frage mich nur, wie so etwas im Film, wo ohnehin alles entschärft wird, funktionieren soll.

AV: Ich habe keinerlei Einblick darin, wie Filme gemacht werden. Wenn es keine Flugzeuge gäbe, würde ich wahrscheinlich nie einen sehen. (lacht) Ich habe keine Ahnung, wie sie es angehen wollen. Sie haben eine Menge Geld bezahlt und lassen sich sehr wenig Zeit — es ist eine sehr kurze Option.

PV: Was denken Sie über die Serie von Teenagermorden in High-Schools, die kürzlich stattfand?

AV: Ich kann Ihnen da keine einfache Antwort geben. Es ist eine sehr komplizierte Situation.

PV: Ich erwarte keine einfache Antwort.

AV: Nein. Aber schauen Sie: Ich habe mich mein Leben lang mit diesen Dingen beschäftigt. Daher meine ich mit einer einfachen Antwort vermutlich alles unter einem dreistündigen Vortrag. Es ist eine komplizierte Situation, und leider gibt es noch zuwenig Fakten. Ich kann nichts sicher behaupten, außer daß ganz klar ist, daß ein Teil der Pathologie einer Person die einer anderen Person metatasiert. Daher ist es unwahrscheinlich, daß die gleichen Handlungen unabhängig voneinander stattgefunden hätten.

PV: Wo wir von Pathologie sprechen — wie fühlen Sie sich in die Pathologie dieser Killer und Triebtäter ein?

AV: Oh, das ist einfach. Das sind Leute, die ich getroffen habe, daher ist es nicht so kompliziert.

PV: Ich versuche herauszufinden, was Sie zum Schreiben bewegt . . . Ich weiß, daß Sie von tatsächlichen Fällen motiviert werden, aber was an einem besonderen Fall bringt Sie dazu, zu sagen: "Okay, hierüber will ich schreiben!"

AV: Ich schreibe nicht über Fälle, ich schreibe über Themen. Das ist ein Unterschied. Was ist am Inzest dran, daß mich motiviert, Leute wütend genug zu machen, damit sie versuchen, die Art und Weise, wie wir damit umgehen, zu ändern? Was mich betrifft, so halte ich ihn für eines der abscheulichsten und bösesten Dinge, die es gibt. Es ist ganz egal, welchen Gesetzen man folgt — den Gesetzen Gottes, den Gesetzen, die Menschen einander auferlegen oder den Gesetzen der Natur — dein eigenes Kind zu mißhandeln verletzt all diese Gesetze. Und es scheint mir eine Form gesellschaftlichen Wahnsinns zu sein, diesen Verstoß als geringeres Vergehen zu betrachten als beispielsweise einen Ladendiebstahl.

PV: Glauben Sie überhaupt an Rehabilitation?

AV: Natürlich. Meine Hand war einige Male gebrochen. Jetzt funktioniert sie wieder. Sie ist rehabilitiert.

PV: Es gibt da einen Unterschied zwischen einer Hand und einem Pädophilen.

AV: Ja, okay, aber sie benutzen den Ausdruck auch sehr allgemein. Ich denke, für einige Leute, die bestimmte Dinge tun, ist Rehabilitation nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Ich glaube nicht an die Rehabilitation Pädophiler, weil Pädophilie deren Einstellung ist. Die eigentlichen Handlungen sind keine Pädophilie, sondern Mißbrauch oder Vergewaltigung oder Sodomie oder tätlicher Angriff. Die Leute, die so etwas tun, sind nicht krank. Darum geht es in diesem Buch. Es ist eine Wahl, eine Entscheidung, "a choice of evil". Wie soll man denn jemanden rehabilitieren, der sich bei dem, was er tut, wohlfühlt, und nur bedauert, das man ihn geschnappt hat?

PV: Angenommen, Sie hören von einem Pädophilen, der auf Bewährung draußen ist. Er sagt "Okay, ich bin jetzt in dieser Stadt. Die Einwohner wurden aufgrund von Megan's Law benachrichtigt, daß ich in dieser Stadt lebe, also was ist mit meinem Recht auf eine Privatsphäre?"

AV: Hat er das Recht sich zu tarnen?

PV: Er hat das Recht von den Einwohnern der Stadt nicht verbal oder emotional angegriffen zu werden.

AV: Keine Ahnung, was das heißt. Ich sag Ihnen was — wenn einer verhaftet wird, erfährt das die Öffenttlichkeit. Eine Verurteilung erfährt die Öffentlichkeit. Auch eine Bewährung. Ich weiß nicht, über welche Privatsphäre Sie reden. Dieses ganze Wirrwarr stammt von Leuten, die sich für Bürgerrechtler halten. Es gibt kein Recht auf Privatsphäre für Vorbestrafte. Sie werden bekanntgemacht, um sie von sehr vielen Bereichen auszuschließen — vom Erwerb einer Schußwaffe bis hin zum Wählen. Ich weiß nicht über welches Recht auf Privatsphäre sie reden.

PV: Vielleicht habe ich einfach zu wenig Informationen, aber ich habe gelesen, daß man benachrichtigt werden muß, wenn ein Pädophiler in der Nachbarschaft einzieht. Zieht hingegen ein Mörder ein, wird man nicht informiert.

AV: Megan's Law sieht keine telefonische Vorsorge vor. Im Grunde bedeutet es nur, daß ab einer bestimmten Schwere des Vergehens eine sogenannte öffentliche Bekanntmachung erfolgt. Öffentliche Bekanntmachung, das bedeutet: Wenn Sie diese Informationen wollen, können Sie sie bekommen.

PV: Also sagt man den Leuten nicht "Der und der zieht in Eurer Nachbarschaft ein" ?

AV: Kommt drauf an. Wenn ein gefährlicher Pädophiler entlassen wird, der Verbrechen einer bestimmten Schwere begangen hat und direkt neben ihnen einzieht, dann werden sie benachrichtigt, ja.

PV: Ich würde annehmen — ein sehr offensichtlicher Gedanke — daß man Pädophilen einfach nicht erlaubt, auf die Straße zurückzukehren. Gehen sie nicht lebenslänglich in Haft?

AV: Nicht annähernd.

PV: Überhaupt nicht?

AV: Es gibt einen Grund für Megan's Law — jemand, der mehrere Verbrechen gegen Kinder begangen hat, wurde freigelassen und tötete ein weiteres Kind. Hätte man ihn nicht entlassen, gäbe es diese Diskussion nicht. Die Haftstrafen für solche Leute liegen weit unter denen für Mord — auch weil man sich bei einem Mord nicht so große Sorgen wegen der Zeugenaussage machen muß. Außerdem gibt es ja diese unsinnige Ansicht, "Pädophilie" sei eine Krankheit, die man heilen müsse.

PV: Also steckt man sie in Rehabilitationsprogramme und unterzieht sie einer psychiatrischen Behandlung?

AV: Oder einer überwachten Bewährung, klar.

PV: Die Tatsache, daß es für so etwas nicht die Höchststrafe gibt, ist irgendwie . . .

AV: Es gibt einen Riesenunterschied zwischen dem Gesetz und seiner Umsetzung. Die bestehenden Strafen sind nicht unbedingt die, die Sie für ein Verbrechen bekommen. Darum geht es in diesem ganzen Justizhandel.

PV: Sie begegnen vielen Leuten, denen die meisten von uns nie begegnen. Hat Sie jemals jemand eingeschüchtert?

AV: Nein.

PV: Hat Sie jemand erschüttert? Oder überrascht?

AV: Menschen überraschen mich ständig. Manche Menschen haben mich durch ihr Verhalten oder ihre Sprache mit Abscheu erfüllt, mich angewidert und mir Angst gemacht.

PV: Wer war die beängstigendste Person, der Sie jemals begegnet sind?

AV: Der Name würde Ihnen nichts sagen.

PV: Aber vielleicht sein Wesen?

AV: Jemand, der mit offensichtlicher sexueller Erregung die Folter anderer menschlicher Wesen beschrieb.

PV: Wird der Zorn irgendwann zu Ende sein?

AV: Natürlich nicht. Wenn sie verschwinden, wird auch der Zorn verschwinden. Da ich allerdings nicht mit dem einen rechne, erwarte ich auch das andere nicht.

PV: Hat der Zorn über all die Jahre nachgelassen?

AV: Oh nein, er wurde viel schlimmer.

PV: Er wurde schlimmer?

AV: Natürlich. Als ich anfing hielt ich das Ganze für ein sehr seltenes Phänomen. Bei dem ersten, den ich traf, dachte ich "Oh mein Gott, ich habe Satan gesehen. Es gibt auf diesem ganzen Planeten keinen schlimmeren Menschen."

PV: Also gab es bei Ihnen eine gewisse Naivität, sowas wie "Ich kann gar nicht glauben, daß es solche Menschen gibt"?

AV: Klar.

PV: Und dann haben Sie immer schlimmere gefunden?

AV: Richtig.

PV: Ich weiß nicht wie . . . ganz ernsthaft, wenn ich jemals so etwas erleben würde . . . Ich lese zwar in Ihren Büchern darüber und in Berichten, aber wenn ich dem Auge in Auge gegenüberstünde . . . Ich glaube nicht, daß ich mich 20 Jahre meines Lebens damit befassen könnte.

AV: Was soll ich dazu sagen? Es gibt Sachen, die geschmacklos sind, oder widerwärtig oder störend. Aber diese Dinge existieren weiter, auch wenn man sie ignoriert. Es ist eine Entscheidung.

PV: Können Sie überhaupt mal irgendwann abschalten? Sie kämpfen in der Kanzlei für Ihre Klienten und Sie schreiben Ihre Bücher. Gehen Sie jemals nach Hause und schalten all das ab?

AV: Nein, ich glaube nicht.

PV: Also beschäftigen Sie sich eigentlich immer damit?

AV: Ich glaube schon. Ich habe mir darüber . . . Diese Fragen betreffen andere Leute, nicht mich. Ich habe darüber eigentlich noch nie nachgedacht. Ich kann mich aber an keine Zeit erinnern, in der ich mich nicht in irgendeiner Weise auf dieses Thema konzentriert hätte.

PV: Betrachten Sie Ihre Arbeit eher als Kunst oder als Kommunikationsmittel?

AV: Ich betrachte Sie als Handwerk, nicht als Kunst, das heißt, ich versuche, sie den höchstmöglichen Standards entsprechend auszuführen. "Kunst" ist für mich ein unsinniger Ausdruck. Er definiert nur, was jemand mag, im Gegensatz zu dem, was ein anderer mag.

PV: Welcher Standard gilt denn für Ihr Handwerk?

AV: Mehr als alles andere Klarheit, würde ich sagen.

PV: Klarheit worin?

AV: Klarheit der Kommunikation.

PV: Um das betreffende Thema mitzuteilen?

AV: Um gleichzeitig die Gefühle und den Text mitzuteilen.

PV: Und — fällt Ihnen das leicht?

AV: Ja.

PV: Wenn Sie ja sagen, definieren Sie dieses ja, beschreiben Sie, wie leicht es Ihnen fällt.

AV: Es geht alles sehr reibungslos. Ich weiß nicht mal, was eine Schreibblockade ist, weil ich so viel Material habe. Ich habe so viel Material, daß ich niemals über alles werde schreiben können.

PV: Haben Sie jemals das Gefühl, ein Thema, das Sie angegangen sind, nicht zu Ihrer Zufriedenheit beschrieben zu haben?

AV: Ich habe noch nie etwas zu meiner Zufriedenheit Genügendes geschrieben. Wenn mir das gelingen würde, wäre der Mißbrauch ausgelöscht.

PV: Trösten Sie sich je mit dem Gedanken, diesen Standard noch nicht erreicht zu haben? Daß Sie es immer weiter versuchen können?

AV: Wie kann man denn etwas so Kurzlebiges anders bemessen als mit dummen Adjektiven? Die Leute sagen "Der und der ist ein besserer Maler . . ." oder Musiker oder Schauspieler. Was sie jedoch wirklich meinen, ist: "Den finde ich besser!" Sie reden über ihren persönlichen Geschmack. Das ist kein Wettbewerb im Gewichtheben, wo 100 Pfund mehr sind als 50 Pfund, sondern eine Welt, in der Vanilla Ice mehr Platten verkauft hat als Muddy Waters. Sie wollen mir doch sicherlich nicht erzählen, Danielle Steel sei eine wichtigere literarische Stimme als Charles Dickens? Aber sie verkauft sich besser. Ich weiß wirklich nicht, wie man sowas messen soll.

PV: Welche Schriftsteller mögen Sie?

AV: Oje, die ganze Liste würde Wochen dauern. Es gibt in der zeitgenössischen Literatur sehr viel, was mir gefällt. Was mich wirklich stört ist, daß Autoren wie Joe Lansdale, James Colbert oder Chet Williamson — um nur ein paar zu nennen, die ich sehr mag — nirgends auch nur annähernd die Anerkennung erhalten, die ihnen ihr Talent einbringen sollte. Daher kann ich wirklich nichts dazu sagen, ob jemand bei irgendwas gut ist.

PV: Sind diese Leute Schriftsteller, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen haben?

AV: Nein, nein. Martha Grimes — die ich wahnsinnig bewundere — schreibt nichts, was mit meinen Sachen zu tun hat. Joe Lansdale ist ein unglaublicher Erzähler, aber er hat nichts mit mir zu tun. Nein, ich kenne niemanden, der so wie ich über diese Dinge schreibt. Ich will damit nicht sagen, daß Kindesmißbrauch nicht der Handlungsfaden der Neunziger ist, das ist er nämlich. Aber es gibt da keinen Standard, an dem ich mich messe.

PV: Man hat Sie mit Dashiell Hammett verglichen . . .

AV: Ja . . . ja.

PV: Gefällt Ihnen seine Arbeit?

AV: Natürlich mag ich seine Arbeit. Er war ein toller Schriftsteller, aber ich weiß beim besten Willen nicht, was ich mit ihm gemeinsam haben soll.

PV: Vermutlich den Stil. Hard-Boiled.

AV: Wissen Sie, diese Leute, die ständig darüber reden, würden Hard-Boiled nicht erkennen, wenn er ihnen eine Kugel in den Kopf jagte. Sie schreiben Hard-Boiled Bücher über Revolver mit Sicherungshebeln oder über Leute, die einen Wagenheber über den Kopf kriegen und nach fünf Minuten wieder aufstehen. Oder (er grinst) die perfekten Leute, die gutaussehend, clever und höflich sind und dabei auch noch gutherzig alles aus dem rechten Grund machen — yeah, klar, das ist eine ganze Menge Realität (lacht). Im Grunde sind das Leute, die irgendeinen Unsinn schreiben und ziemlich oft "fuck" sagen, entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Und dann sagen Sie: "Wow, das ist tough!" Okay.

PV: Sie meinen, diese Leute wissen nicht, worüber sie schreiben?

AV: Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kenne deren Lebenserfahrung nicht, aber ich kenne meine. Ich weiß, was ich erlebt habe, und ich versuche über Dinge zu schreiben, die ich kenne. Grundsätzlich meine ich, Jungfrauen sollten keine Sex-Szenen schreiben.

PV: Kehren wir zu Ihrem Handwerk zurück. Sind Sie ein Schriftsteller, der sich zu irgendeinem Zeitpunkt hinsetzen und eine, zwei oder auch zehn Seiten schreiben kann?

AV: Mir bleibt eigentlich nichts anderes übrig, weil ich fürs Schreiben keinen Stundenplan habe. Das Buch entsteht in meinem Kopf, und wenn ich mal Zeit finde, ist es eigentlich mehr ein Tippen als Schreiben.

PV: Wird an Ihren Büchern viel redigiert?

AV: Nein.

PV: Gar nicht?

AV: Gar nicht wäre übertrieben. Die Lektoren finden schon mal was. Verdammt, ich wußte ja nicht einmal, daß es einen Unterschied zwischen "toward" und "towards" gibt, bis ich einen Lektor hatte (lacht). Man kann also nicht sagen, es gibt kein Redigieren, aber wenn Sie an Plotvorschläge denken, nein, da redet mir keiner rein.

PV: Denken Sie beim Schreiben manchmal "Diese Zeile. Die ist gut. Die ist richtig gut geschrieben."? Betrachten Sie Ihre Arbeit eher objektiv oder eher subjektiv?

AV: Ich denke schon mal "Jungejunge, diese Zeile da . . . schöner Schmonsens". Und dann schmeiß ich sie raus. Ich versuche, meinen Stil möglichst minimal zu halten. Ihn zu beschneiden, damit er rein wird.

PV: Was ist Ihrer Meinung nach das größte Mißverständnis um Ihre Person?

AV: Es gibt so viele (lacht). Ich weiß nicht, welches auf den ersten Platz kommt.

PV: Was ist denn Ihr Lieblings-Mißverständnis?

AV: Daß ich entweder ein Ex-Knacki bin oder diese Romane im Knast schreibe. Das ist der Hammer. Schätze ich.

PV: Schmeichelt Ihnen das?

AV: Nein. Es schmeichelt mir, wenn mir jemand aus dem Gefängnis schreibt: "Sie sagen die Wahrheit. Sie reden mit meiner Stimme." Aber ich finde es genauso ermutigend, wenn jemand, der entsetzliche Erfahrungen gemacht hat, sagt, daß ich für ihn spreche. Es ist wie beim Blues: das höchste Lob ist, wenn jemand aus dem Publikum ruft "Das ist die Wahrheit. That's the truth". Das ist für mich das größte Kompliment.

PV: Eine Wahrheit, die nicht immer freundlich aufgenommen wird, nehme ich an?

AV: Kennen Sie so eine Wahrheit? (lacht)

PV: (lacht) Stimmt. Aber ich dachte jetzt an die Pädophilen. Ich könnte mir vorstellen, daß sie Ablehnung erleben und Drohungen erhalten.

AV: Ich habe von Pädophilen noch nie eine ablehnende Meinung gehört. Ich bekomme natürlich Haßbriefe, und ich werde bedroht, aber sogar die NAMBLA (North American Man Boy Love Association) sagt in einer Rezension eines meiner Bücher "Dieser Kerl ist unser Feind, er haßt uns. Aber er ist sehr genau in seiner Darstellung unseres Verhaltens und unserer Gespräche. Dadurch wirkt er sehr authentisch." Keiner von denen hat jemals behauptet, ich würde sie falsch darstellen. Tatsächlich ist die Position sehr extremer Freaks meiner eigenen sehr nah, obwohl sie wissen, daß ich sie hasse. Mit anderen Worten, auch die sagen, sie sind nicht krank. Die sagen selbst, daß es ihre eigene Entscheidung ist. Natürlich ist es für sie die Ignoranz der Gesellschaft, die kleine Kinder keinen Sex haben läßt. Aber sie verleugnen in keinster Weise, daß genau dies ihr Ziel ist.

PV: Wenn Ihr Grund, diese Bücher zu schreiben ist, das zu beenden, worüber Sie schreiben, werden Pädophile, die sagen, Sie verstünden ihre Psyche, ihre Ziele und ihr Verlangen, doch verstehen, daß Sie sie aufhalten wollen?

AV: Ja, aber sie haben eben über Authentizität gesprochen. Sie haben nicht über . . . Ich bin auf der Haßliste der International Pedophile Liberation Front. Auf ihrer Website.

PV: Sowas gibt es?

AV: Yes, ma'am. Sehen Sie, das ist es ja — sowas gibt es. Die International Pedophile Liberation Front und die North American Man-Boy Love Association und Uncommon Desires und die Pedophile International Exchange. Ich könnte noch lange so weitermachen. Das sind organisierte Gruppen, die Geld sammeln, um sich eine Lobby zu schaffen. Denen geht es nicht um Authentizität. Sie wissen, daß ich ihr Feind bin. Ich weiß, sie sind meine Feinde. Das ist für keinen von uns neu, und es ist kein literarisches Kriterium.

PV: Haben Sie Morddrohungen erhalten?

AV: Oh ja, sicher (lacht). Aber natürlich!

PV: Naja, aber natürlich. Aber Sie lachen darüber.

AV: Natürlich lache ich, was soll ich denn sonst tun? Sowas unterschreibt ja keiner. Ich kriege auch diese "Du bist ein toter Mann" Anrufe. Diese Drohungen nehme ich sehr ernst. Ich versuche mich zu schützen, andere Leute beschützen mich — offensichtlich sehr erfolgreich. Aber jeder kleine Spinner kann eine Drohung per E-Mail schicken. Wenn ich bei jeder Drohung Herzrasen bekäme, müßte ich in einer Herzklinik leben.

PV: Ich nehme an, nach einigen Jahrzehnten haben Sie sich daran gewöhnt?

AV: An gar nichts habe ich mich gewöhnt. Eins weiß ich: Die Leute, die dir wirklich wehtun wollen, schicken vorher keine Benachrichtigung. Wer Ankündigungen verschickt, will Dich nur einschüchtern.

PV: Glauben Sie, daß sich seit dem Beginn Ihrer Tätigkeit irgendetwas geändert hat?

AV: Es gab in den letzten 30 Jahren mehr Fortschritte als in den vorangegangenen 300 Jahren. Wenn Sie Zeitungen aus den Fünfzigern aus irgendeiner Stadt in einem beliebigen Staat lesen, werden Sie zu dem Schluß kommen, daß damals kein einziges Kind mißbraucht wurde. Der Journalismus hat sich nicht damit beschäftigt, in den Budgets war kein Platz dafür und es gab keine Nische dafür in der Verbrechensbekämpfung. Es hat enorme Fortschritte gegeben, aber vor uns liegt immer noch ein weiter Weg. Ich denke, grundsätzliche, signifikante Veränderungen . . . Mein Beruf existierte vor dreissig Jahren überhaupt nicht. Wenn Sie damals behauptet hätten, ein Anwalt ausschließlich für Kinder zu sein, man hätte Sie für verrückt gehalten.

PV: Haben Sie irgendwelche Laster?

AV: Was verstehen Sie unter Laster?

PV: Rauchen, Trinken, Glücksspiel.

AV: Das sind für Sie Laster? (lacht)

PV: Naja, gemeinhin . . .

AV: Ist das hier eine christliche Website oder sowas?

PV: (lacht)

AV: Was ist mit Sex? Ist das auch ein Laster?

PV: Man könnte es so sehen, oder?

AV: Ich nicht.

PV: Ich auch nicht.

AV: Tja, dann weiß ich nicht, was Sie mit Laster meinen.

PV: Dinge, die man Rücksicht auf die Gesellschaft nicht tun sollte.

AV: Sie meinen die Gesellschaft, die Zigaretten herstellt, Spirituosen verkauft und beides bewirbt?

PV: Punkt für Sie.

AV: Jetzt bin ich verwirrt. Wollen Sie wissen, ob ich ein Drogenabhängiger bin?

PV: (lacht)

AV: (lacht) Ich weiß wirklich nicht.

PV: Man könnte das Rauchen als Sucht bezeichnen. Manche Leute nennen es eine Sucht und versuchen aufzuhören. Okay — Rauchen Sie?

AV: Ja.

PV: Trinken Sie?

AV: Nein.

PV: Spielen Sie?

AV: Ja.

PV: Was?

AV: Wetten. Ich würde nicht in ein Casino gehen oder an Automaten spielen, aber ich wette bei Pferderennen und Boxkämpfen.

PV: Irgendwelche Hobbys? Außer Wetten?

AV: Wetten ist nicht mal ein Hobby, weil mir die Zeit fehlt. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich wohl auch mehr wetten. Auf jeden Fall habe ich das getan, als ich noch jünger war.

PV: Nur um es klarzustellen: Wie spricht man Ihren Nachnamen aus?

AV: So, daß er sich auf "Ex" reimt.

Mehr Informationen über Choice of Evil und Vachss' Lesetour finden Sie auf seiner offiziellen Website The Zero

Den Originalartikel finden Sie hier.

 


VACHSS     BIO     PROSA     ARTIKEL     INTERVIEWS     FAQ     UPDATES/NEWSLETTER
MISSION    DOWNLOADS    GALERIE    HUNDE    EISGOTT    RESSOURCEN

Suche auf The Zero || Technik || Verlinken || Email an The Zero || Startseite

The Zero © 2000-2004 Andrew Vachss. Alle Rechte vorbehalten.