Krieger des Trojanischen Pferdes

Ein Leben für das Schreiben: Andrew Vachss, der
Ankläger des Kindesmißbrauchs, redet mit Nick Hasted
über die Kraft der Literatur

von Nick Hasted

[Ursprünglich erschienen in The Guardian (London), 22. April 2000]

Als Andrew Vachss sieben Jahre alt war, wurde er in seiner New Yorker Nachbarschaft von einem unbekannten Jugendlichen mit einer Fahrradkette angegriffen. Sein Auge wurde dabei so schwer verletzt, daß er seither eine Augenklappe trägt. In der harten, kleinen Welt, in der er so geliebt aufwuchs, hielt er das für eine Ausnahme.

Als er 21 war und als Bundesermittler für Geschlechtskrankheiten arbeitete, begegnete er einem Baby-Vergewaltiger. Als er herausfand, daß es noch mehr von ihnen gab, zentrierte sich sein Blick auf diese, wie er meinte, heilbare Plage. Mit grimmiger Entschlossenheit machte er sich daran, diese räuberischen Pädophilen aus der Gesellschaft zu entfernen. Außerdem wurde er Teil der Kampagne zur Rettung der Kinder in Biafra und leitete ein Gefängnis für jugendliche Mörder. Schließlich ließ er sich als Anwalt, der ausschließlich Kinder vertritt, nieder und begann seine Karriere als Schriftsteller.

Vachss' Kriminalromane handeln in einem New York, welches eine neue Hölle verkörpert. Eine literarische Unterwelt, ein eisiger, von Flammen umloderter Müllplatz. Dort lebt sein Held, Mißbrauchsopfer Burke, mit seiner selbstgewählten 'Familie' ein Leben als Ausgestoßener. Ein stummer Gigant, ein genialer Zwerg, eine Transsexuelle — sie sind auf der Jagd nach den Raubtieren, nach der menschlichen Fähigkeit zu grausamen Vergnügungen, die Vachss als 'die Bestie' bezeichnet. Shella (1993), sein einziger Roman ohne Burke, schildert einen Soziopathen auf der Suche nach seiner Seele. Er findet sie in der Liebe zu einer todkranken Frau, die sich mit AIDS infizierte, als sie das Blut ermordeter Pädophiler trank. Diese Geschichte ist eher tieftraurig als gruselig.

Vachss hat auch Comics und Sachliteratur geschrieben. Sein Auftreten bei der Oprah Winfrey Show war der Unterzeichnung des 'National Child Protection Act' durch Bill Clinton sehr dienlich. Wichtigster Ausdruck seiner Überzeugungen aber sind die Burke-Romane, die knapp und zornig den benommenen Niedergang ihres Helden dokumentieren. (Im neuen Roman Safe House werden tyrannische Frauenhasser [stalker] und Nazis bekämpft).

Die größte Bedrohung seiner Arbeit zeichnete sich an dem Tag ab, als alles begannn — als Vachss den Babyschänder traf und beinahe die Beherrschung verlor. 'Meine erste Reaktion war, daß ich mich buchstäblich sehen konnte, wie ich diesem Kerl den Hals breche, so wie man ein Huhn tötet', erinnert er sich. 'Ich hatte noch nie eine solche Wut empfunden. Und im selben Moment wurde mir klar, wenn ich nicht absolut ruhig bliebe, würde ich jede Möglichkeit verlieren, jemals etwas zu ändern. Diese verzweifelte Ruhe und die Erfahrungen, die danach auf mich einprasselten, stumpften meine Nervenenden ab. Daher berührt mich nicht mehr so vieles. Ich werde nicht mehr besonders glücklich oder besonders traurig. Das ist der Preis, den ich dafür gezahlt habe.'

In Safe House packt Burke das 'Eis in meinem Inneren' — ähnlich, wie sein Schöpfer in seiner Arbeit als Anwalt. 'Wenn man sich überlegt, was so ein Kind durchmacht, wie ein Mensch ein Wesen foltern kann, das er selbst zur Welt gebracht hat, dann ist man verloren', so Vachss. 'Das ich es als Teenager schaffte, mein Temperament zu beherrschen, war der Schlüssel zu allem, was ich später getan habe. Ich war damals schon sehr mit diesem Prozeß der Selbstkontrolle beschäftigt. In meiner Umgebung gab es zu viele Menschen, die böse endeten. Doch zu dieser Zeit war das einzige, was mich interessierte, Billiard und Mädchen. Nachdem ich diesem Kinderschänder begegnet war, lief alles auf das gleiche Ziel hinaus.'

Hatte er das Gefühl, eine Wahl zu haben? 'Nein. So, wie religiöse Menschen davon sprechen, ein 'Ruf' habe sie ereilt, so fühlte sich das für mich an. Es war eine Nachricht, die ich nicht ignorieren konnte. Ich hätte sonst nicht mehr mit mir leben können.' Vachss' erste Reaktion war sein Engagement im Stammesinferno von Biafra. Tief getroffen von den Fernsehbildern 'der unzähligen hungernden Kinder, in einem Alter, in dem die grandiose Idee, sie retten zu können, mich überwältigte', nahm er immense Risiken in Kauf, um Versorgungslinien einzurichten. Das Chaos des Nigerianischen Bürgerkriegs verurteilte seine Bemühungen zum Scheitern, aber sein Kampf brannte ihm einige nicht zu verdrängende Bilder ein: Ein Kind, das ihn fragte, warum er bei einem Luftangriff davonliefe, wo doch die Bomben ihn nicht sehen könnten, und er ohnehin sterben müsse. Eine hungrige, gejagte Frau, die ein zurückgelassenes Baby, Stunden vom unvermeidlichen Hungertod entfernt, aufhob und an ihre Brust drückte, damit es wenigstens geliebt sterben konnte. 'Ich habe die besten Menschen gesehen, aber auch die schlimmsten', sagt Vachss.

Die Burke-Romane wurden wegen ihrer Intoleranz gegenüber Sexualstraftätern kritisiert. Doch wenn Vachss über seine Möglichkeit spricht, den strengen Vollzug in einem Hochsicherheitsgefängnis für Jugendliche zu leiten, dann wird sein Wunsch deutlich, möglichst viele von ihnen zu retten, statt sie einfach nur zu bestrafen. Das Sachbuch, das er über seine Methoden schrieb, wird immer noch benutzt. Diesem Buch folgten die Romane, beeinflußt von Pulp-Schriftstellern wie David Goodis und Paul Cain, aber auch von Iceberg Slim und von Blues-Musik.

Er betrachtete seine Romane seit jeher weniger als Kunst denn als 'Trojanische Pferde' — eine Möglichkeit, seine Ansichten in das Publikumsbewusstsein zu schmuggeln. Die brutale Schönheit eines Buchs wie Hard Candy (1989) bezeichnet er als 'zufällig'. Das Schreiben bereitet ihm keine Freude, es verursacht ihm Schmerzen, beschwört es doch böse Erinnerungen herauf. Seine Arbeit in ihrer Gesamtheit hat ihn physisch und emotional verletzt, er wird ständig bedroht von den Feinden, die er sich auf seinem Weg gemacht hat. So wie er es erzählt, klingt es wie ein Leben voller Opfer.

'Es ist zuviel der Ehre, wenn man von Opfern spricht', sagt er. 'Ich tue meine Arbeit nicht, weil ich Kinder liebe, sondern weil ich die hasse, die nach Kindern jagen. Ich opfere also meinem Haß, nicht meiner Liebe. Das alles hat nicht so viel Einfluß auf mein Leben gehabt. Ich genieße eine ganz gute Sicherheit, auf mehreren Ebenen.' Außerdem hat er seine, wie er sagt 'Brüder und Schwestern — Krieger, die meine Wahlfamilie bilden'. Das läßt ihn klingen, wie Burke, der in seinem 'Safe House' lebt. Bedeutet das, daß er mit 57 die Erschöpfung seines Protagonisten erfährt?

Er verneint. 'Ich fühle mich von diesem Kampf nicht erschöpft, denn die Siege waren größer als ich mir jemals hätte träumen lassen. Ich habe gesehen, wie ein Kind, das auf vielfältige Weise zu einem Leben als Serienmörder verdammt war, gerettet wurde. Heute ist er ein liebevoller Vater. Die Einstellung der Öffentlichkeit hat sich geändert. Was immer ich auch bezahlen mußte, der Preis scheint mir angemessen. Auf meiner Website finden sie ein EKG. Es soll zeigen, daß mein Herz immer noch schlägt, Meine Arbeit ist mein Leben, und ich denke, daß diese Arbeit noch weitergeht, wenn ich schon lange tot bin.'

 

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